FOR 415: Metall(oid)organische Verbindungen in der Umwelt
Medizin
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ausgangspunkt und analytisch-chemischer Hintergrund dieses Projekts war die Speziation metall(oid)organischer Verbindungen in der Umwelt, die am Institut für Umweltanalytik an der Universität Duisburg-Essen auf der Basis moderner instrumenteller Verfahren seit 1991 eingesetzt und für Realproben aller Aggregatzustände weiterentwickelt wurde. Alle Teilprojekte benutzen diese gemeinsame analytische Plattform. Konzeptioneller Schwerpunkt der Forschergruppe war es, ausgehend von der Erfassung speziesanalytischer Daten ausgewählter Umweltsysteme in den Teilprojekten den thematischen Bogen bis hinein in humantoxikologisch relevante Fragestellungen zu ziehen. Letztendlich sollte hiermit eine gesundheitliche Bewertung potentieller kritischer Umweltszenarios („hot spots“) ermöglicht werden. All dies sollte in engster Zusammenarbeit zwischen Chemikern, Mikrobiologen, Umweltwissenschaftlern, Abfallwirtschaftlern sowie Geno- und Neurotoxikologen realisiert werden. Neben den spezifischen Einzelergebnissen der Teilprojekte, die in diesem Abschlussbericht zusammenfassend beschrieben werden, konnten durch die interdisziplinäre Arbeitsweise der Forschergruppe das Rahmenthema betreffende Querschnittsfragen beantwortet werden: • Die Existenz alkylierter Metall(oid)spezies in der geogen und anthropogen geprägten Umwelt darf als analytisch gesichert gelten; die Zahl der Verbindungen liegt im dreistelligen Bereich und ihre Massenkonzentration zwischen 10-12 und 10-5. Da biologisch relevante Wirkkonzentrationen in ähnlichen Konzentrationsbereichen liegen, ist in Umweltbereichen mit hohen Konzentrationen („hot spots“) von einer Beeinflussung von Ökosystemen und der menschlichen Gesundheit auszugehen. Ein direkter quantitativer Vergleich der in den Abbildungen 1 und 2 angegebenen Werte ist nur für die Wasserphase möglich. Vergleiche mit festen Umweltproben sind nur unter Miteinbeziehung von Modellannahmen zur Mobilisierung der Spezies statthaft, solche mit Umweltgasen erfordern toxikologische Untersuchungen in Form von Begasungsexperimenten. Letztere sind bereits für Trimethylbismut, Dimethylarsin, Trimethylarsin und Tetramethylzinn durchgeführt worden und werden derzeit publiziert. • Während höher alkylierte Verbindungen (z.B. als Biozide) anthropogen in die Umwelt eingebracht werden, entstehen wasserlösliche teilmethylierte und flüchtige permethylierte Verbindungen auf natürliche Weise durch den Prozeß der Biomethylierung durch Gemeinschaften von Mikroorganismen (z.B. Biofilme) meist in anaeroben, sauren Milieus an der Sediment-Wasser-Zwischenschicht. Empirische Befunde (z.B. MMAs>DMAs>TMAs in Kulturböden) lassen vermuten, dass die Biomethylierung stufenweise erfolgt. Generell zeigen Methanoarchaea eine hohe Methylierungsaktivität gegenüber Metall(oid)en. Diese Organismengruppe weist eine große Vielfalt bei der Bildung von flüchtigen Metall(oid)-Derivaten auf sowohl bezüglich der Diversität der umgesetzten anorganischen Elemente als auch bezüglich der gebildeten Produkte. Generell scheinen bei diesen Organismen häufig Cobalamin-abhängige Methyltransferase-Reaktionen für die Metall(oid)-Methylierung verantwortlich zu sein. Wie weiter gezeigt werden konnte, hängt die Fähigkeit, Metall(oid)e zu methylieren nicht nur von intrinsischen sondern auch von extrinsischen Faktoren ab. Aus medizinischer Sicht bedeutend ist der Befund, dass die Darmmikrobiota eine dominante Rolle bei der Transformation von Metall(oid)en zu flüchtigen und damit z.T. toxischen Derivaten spielt. Auch hier liegt der Verdacht sehr nahe, dass insbesondere Methanoarchaea für diese Umsetzungen verantwortlich sind. • Für limnische Ökosysteme wurden als potentielle Bioindikatoren für das Auftreten von Metall(oid)-Spezies auf verschiedenen Trophieebenen die Muschel Corbicula fluminea und die Brasse (Abramis brama) identifiziert. Außerdem konnte ein hohes Biomethylierungspotential von Schilf (Phragmites) in Feuchtbiotopen für Selen sowie der Transport des gebildeten volatilen Dimethylselenid über das interzelluläre Lacunarsystem des Schilfs in die Atmosphäre nachgewiesen werden. • Hinsichtlich der Aufnahme von Metall(oid)-Spezies durch Säugerzellen hat sich in den Untersuchungen herausgestellt, dass es starke zellartspezifische Unterschiede hinsichtlich der Membrangängigkeit und der zellulären Aufnahme von Metall(oid)en gibt, dass die Membranpermeabilität der Verbindungen von deren Wertigkeit und dem Methylierungsgrad abhängen und dass die zelluläre Aufnahme von Arsenverbindungen durch Leberzellen am effektivsten ist. Die Toxizität der Metall(oid)verbindungen korreliert in den meisten Fällen mit der zellulären Aufnahme der Verbindungen. Methylierte Metall(oid)verbindungen weisen weiterhin in den meisten Fällen eine höhere Toxizität auf, als nichtmethylierte Verbindungen. • Arsenit wie auch die dreiwertigen methylierten Metabolite induzierten bereits in sehr geringen Konzentrationen oxidative DNA-Schäden, die auch nach vielen Stunden noch nachweisbar waren; dies deutet neben prooxidativen Eigenschaften auf eine DNA-Reparaturhemmung hin. In weitergehenden Versuchen konnten DNA-Reparaturproteine mit sog. „Zinkfingerstrukturen“ als potenzielle molekulare Targets identifiziert werden. Insbesondere die durch das Zinkfinger-Protein Poly(ADP-Ribose)Polymerase-1 (PARP-1) katalysierte Poly(ADP-Ribosyl)ierung wurde bereits bei nanomolaren Konzentrationen an Arsenit und seinen dreiwertigen methylierten Metaboliten signifikant gehemmt. Diese Reaktion ist an dem sog. „DNA damage signalling“ beteiligt und ist die erste publizierte Reaktion im Zusammenhang mit DNA-Reparaturprozessen, die durch extrem niedrige Arsenkonzentrationen inhibiert wird. • Selen ist ein essentielles Spurenelement, die Frage nach der optimalen Versorgung wird aber kontrovers diskutiert. Unsere Untersuchungen belegen eine ausgeprägte Speziesabhängigkeit der zellulären Reaktionen. So sind insbesondere reduzierbare Selenverbindungen wie Natriumselenit in der Lage, Thiole in Zink bindende Strukturen zu oxidieren; dies wurde anhand der isolierten DNA-Reparaturproteine Fpg und XPA sowie des Tumorsuppressors p53 im subzellulären System gezeigt. Eine Inaktivierung von p53 durch Natriumselenit wurde im zellulären System hingegen nicht beobachtet; vielmehr induzierte Natriumselenit hier oxidative DNA-Schäden, die zur Stabilisierung und Aktivierung von p53 und weiterhin zu einer p53-abhängigen Schadensantwort führten. Im Gegensatz dazu akkumulieren oxidative DNA-Schäden in nicht-zytotoxischen Konzentrationen an Natriumselenit in der p53-defizienten Zelllinie, was die wichtige Rolle von p53 bei der Antwort auf die Toxizität von Natriumselenit demonstriert. Die zelluläre Antwort auf Selenomethionin war demgegenüber unabhängig vom p53-Status der Zellen. Insgesamt sind die zellulären Reaktionen somit abhängig von der jeweiligen Verbindungsform, die beispielsweise bei der Auswahl von selenhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln dringend beachtet werden sollte. • Neurotoxikologische Untersuchungen ergaben, dass Metall(oid)e sehr spezifische Wirkungsmuster auf die Funktion einzelner neuronaler Ionenkanäle ausüben können. Insbesondere zeigen sich bei arsen- und zinnorganischen Substanzen deutliche konzentrationsabhängige Funktionsbeeinträchtigungen auf die wichtigsten erregenden und hemmenden transmittergesteuerten Ionenkanäle. Diese Substanzen sind damit grundsätzlich in der Lage die neuronalen Informationssysteme zu beeinträchtigen. Weiterhin wurde beobachtet, dass arsen- und zinnorganische Substanzen die synaptischen Übertragungsprozesse zwischen Nervenzellen in einem definierten neuronalem Verband (Hippocampus der Ratte) stark beeinträchtigen können. Über Störungen dieser wichtigen neuronalen Aktivität können die metall(oid)organischen Verbindungen grundsätzlich eine neurotoxische Wirkung in Hinblick auf Lern- und Gedächtnisprozesse ausüben. Weitere Untersuchungen konzentrierten sich auf die Fragestellung, ob arsen- und zinnorganische Verbindungen die funktionellen und strukturellen Reifungsprozesse des Gehirns stören können. Die durchgeführten in-vivo- Untersuchungen an Ratten zeigten dabei, dass diese Substanzen bei niedrigen Dosierungen relativ wenig Effekte auf das getestete Verhaltensparadigma („passive avoidance test“) zeigten. Bei der angewandten intraperitonealen Applikationsform ist dabei allerdings nicht auszuschließen, dass die Substanzen schnell metabolisiert werden und/oder nicht bzw. kaum die Blut-Hirn-Schranke passieren können. Daher ist es denkbar, dass bei einer Verlängerung der Expositionszeiten deutlichere Effekte nachzuweisen sind. Schließlich sollten in weiterführenden Untersuchungen neben dem „passive avoidance test“ auch andere „hippokampale“ Lerntests (Morris`water maze, radialer Labyrinth-Test) eingesetzt werden. Insgesamt haben die durchgeführten Arbeiten wesentlich zum Verständnis des Einflusses von Arsen- und Selenverbindungen auf die genomische Stabilität beigetragen. Die Ergebnisse wurden in zahlreichen Zeitschriftenartikeln und Buchbeiträgen publiziert und haben große Aufmerksamkeit in der wissenschafltichen Fachliteratur, aber auch in mit der Risikobewertung befassten Gremien erfahren.