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'Risiken' als Medien gesellschaftlicher Kommunikation über Schlüsseltechnologien. Das Beispiel Nanotechnologie aus wissenschaftssoziologischer Sicht

Fachliche Zuordnung Soziologische Theorie
Förderung Förderung von 2007 bis 2009
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 54761113
 
Erstellungsjahr 2010

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersuchte anhand der Risikodebatten zur Nanotechnologie, wie sich eine Schlüsseltechnologie ausgehend von zukunftsorientierten Verständigungsprozessen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Massenmedien als ein gesellschaftlich-technologisches Feld stabilisiert. Die empirische Grundlage bildeten Sekundäranalysen der Datensätze zweier Forschungsprojekte (zu Visionen und zur Regulierung der Nanotechnologie), die auf Dokumentenanalysen und Experteninterviews basieren. Nanotechnologie bezeichnet ein sachtechnisch unbestimmtes Phänomen. Sie umfasst unterschiedlichste Technologien und Produktbereiche (bspw. Oberflächenversiegelungen, biokompatible Implantate, Halbleiter, Nahrungsergänzungsmittel). Entsprechend existiert die Nanotechnologie als Feld nur aufgrund von Verständigungen über heterogene Erwartungen zwischen Akteuren aus unterschiedlichsten Bereichen der Wissenschaft und der Gesellschaft. Ergebnisse: Mehrdeutige Risikokonzepte funktionieren in diesen Verständigungen als integrierende Kommunikationsmedien. Sie tragen zur Kondensierung und Differenzierung des Feldes bei, da sie Entscheidungen bezüglich Forschung, Investition oder Regulierung orientieren. Ab 2002/2004 ist ein Reflexionsprozess in den Risikodebatten rekonstruierbar. Zunehmend werden Nichtwissensdimensionen thematisiert, die etablierte Verfahren der Risikokalkulation und der Risikosozialisierung an ihre Grenzen bringen. Diese Reflexion zeigt sich als Lerneffekt an der Regulierung der Nanotechnologie. Prozessbegleitende Best-Practice-Modelle, an denen alle Akteure des Feldes als Stakeholder der Nanotechnologie partizipieren sollen, werden zum angemessenen Umgang mit Nichtwissen eingerichtet. Trotz dieses Lernprozesses wird Nichtwissen nach wie vor als ‚Risiko’ kommuniziert. Dies begründet sich darüber, dass ‚Risiko’ nicht nur ein Schadenskalkül, sondern auch als ein Medium der Verantwortungszurechnung für potentielle Folgen ist. Aus dieser Perspektive etabliert die Stakeholder-Partizipation an selbstregulativen Verfahren einen Modus flexibler Risikosozialisierung, der den Dynamiken und Ungewissheiten der Nanotechnologie entspricht. Nichtwissen wird deshalb als Risiko kommuniziert, da nur so Zurechungen, Delegationen und Verteilungen für Folgenverantwortungen unter den Akteuren des Feldes möglich sind. Das Novum dieses Ergebnis liegt darin, dass ‚Risiko’ als Schlüsselbegriff zur Erklärung der Vergesellschaftung einer neuen Technologie genutzt wird. Die Ergebnisse bereichern die Risikoforschung durch eine analytisch einsetzbare Kombination aus reflexiv-modernitäts- und systemtheoretischen Theorieelementen. Sie fundieren Wissenschaftsforschungen zur Ko-Evolution von Technologie und Gesellschaft wissenssoziologisch – durch die Entwicklung eines theoretisch-analytischen Instrumentariums zur Entschlüsselung gesellschaftlich-kommunikativer Bedingungen neuer Technologien. Die an der Wissenschaftssoziologie häufig problematisierte Kluft zwischen mikrosoziologischer Fallstudie und makrosoziologischer Gesellschaftsdiagnostik wird überbrückt. Ergebnispräsentationen stießen in universitären als auch in angewandeten Bereichen auf großes Interesse.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (11.11.2008): Nanotechnologie und die Ethik der Risikovermutung, Nanotechnologie im Fokus des gesundheitlichen Verbraucherschutzes – Sechstes BfR-Forum Verbraucherschutz, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin
    Lösch, A.
  • (13.11.2008): Selbstorganisation in der Nanotechnologie: Neue Wege der Regulierung. ITAForum 2008: Technik>Analyse>Innovation, VDI/VDE-IT & BMBF, Kalkscheune, Berlin
    Lösch, A.
  • (22.10.2008): Die gesellschaftliche (Um)Verteilung von Risiko-Verantwortung: das Beispiel Nanotechnologie. Forschungskolloquium: Wissenschaftsforschung, Universität Basel, CH
    Lösch, A.
  • (14.01.2009): Regulierung der Nanotechnologie – Observatories und Codes of Conduct. Seminar: Nanotechnologie in unserer Gesellschaft, Institut für Philosophie, Technische Universität Darmstadt
    Lösch, A.
  • (2009): Technologien jenseits ihrer Regulierbarkeit. Soziologische Fallstudien zur Formierung und Regierung der Nanotechnologie. Habilitationsschrift im Fach Soziologie am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt
    Lösch, A.
  • (27.05.2009): Mensch-Technik-Grenzverschiebungen als Forschungsperspektive – ein Statement. Foresight-Workshop des BMBF: Mensch-Technik-Grenzverschiebungen: Forschungsperspektive der Zukunft? Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe
    Lösch, A.
 
 

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