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Der Physiologus im digitalen Labor: Die früheste Gestalt einer mehrsprachigen Überlieferung
Antragstellerin
Dr. Caroline Mace
Fachliche Zuordnung
Griechische und Lateinische Philologie
Mittelalterliche Geschichte
Mittelalterliche Geschichte
Förderung
Förderung seit 2025
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 548606119
Der Physiologus, ursprünglich vor dem Ende des dritten Jahrhunderts auf griechisch verfasst, ist einer der ältesten Texte, die eine christliche Interpretation der Schöpfung bieten und tierisches Verhalten (oft imaginär) als christliches Modell für menschliches Verhalten verwenden. Entstanden wahrscheinlich in Ägypten, erlangte dieses anonyme Werk eine enorme Verbreitung. Vor dem Ende des ersten Jahrtausends wurde der Physiologus zweimal ins Lateinische, ins Syrische und ins Arabische, je einmal ins Armenische (und daraus ins Georgische) und ins Äthiopische übersetzt, und es gibt auch Spuren des Textes in koptischer Sprache. Im zweiten Jahrtausend wurde es mehrmals in verschiedene slawische Sprachen und aus dem Lateinischen ins Isländische, ins Altenglische und Althochdeutsche übersetzt und schließlich bis zur Renaissance in fast alle Volkssprachen Westeuropas übernommen. Wie Richard Gottheil (1899) betonte, gehört der Physiologus zu den "world-books", deren Einfluss auf die mittelalterliche wie auch moderne Vorstellungskraft, Kultur und Kunst unermesslich ist. Um diese spektakuläre Entwicklung zu erfassen und historisch zu bewerten, ist es zunächst notwendig, eine genaue Kenntnis des Werks in seinem Anfangsstadium zu haben. Obwohl der griechische Text bereits 1936 in drei Rezensionen auf der Grundlage einer nahezu vollständigen Heuristik der Handschriften von Francesco Sbordone herausgegeben wurde, ist die Geschichte seiner Überlieferung, insbesondere in ihren Anfängen, bis heute unklar. Da insbesondere die ursprüngliche Textgestalt ungeklärt blieb, ist Sbordones stemmatische Rekonstruktion der Beziehungen zwischen den griechischen Handschriften nachweisbar irrig und seine Edition, die auf dieser Rekonstruktion basiert, ebenso problematisch. Vorbereitende Studien haben die Bedeutung der lateinischen, der armenisch-georgischen und der syrischen Fassung für die Rekonstruktion der ältesten griechischen Textgestalt erwiesen, für die allein eine griechische Handschrift als unmittelbarer Zeuge gelten kann. Die Ausgaben, in denen diese wie auch die außergriechischen Versionen verfügbar gemacht worden sind, genügen jedoch nicht den erforderlichen textkritischen Ansprüchen. Daher ist eine erneute Untersuchung aller Zeugen erforderlich, um den ursprünglichen griechischen Text zu ermitteln und die Geschichte der vielfach verzweigten Überlieferung aufzuhellen. Darüber hinaus wird die vergleichende Untersuchung der ältesten Tradition des Physiologus auch zu neuen Erkenntnissen über die Milieus, in denen der Text niedergeschrieben bzw. übersetzt wurde. Die Komplexität der Beziehungen zwischen dem griechischen Originaltext und seinen Übersetzungen macht es erforderlich, die aktuellsten Methoden und Werkzeuge im Bereich der Digital Humanities zu verwenden, um die älteste Form des Physiologus wiederherzustellen. Zu diesem Zweck muss eine Methodik entwickeln werden, die spezifisch für einen historisch-kritischen Ansatz mehrsprachiger Texttraditionen geeignet ist.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Internationaler Bezug
Frankreich
Partnerorganisation
Agence Nationale de la Recherche / The French National Research Agency
Kooperationspartnerin
Dr. Emmanuelle Kuhry