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Die imperiale Bedeutungszuschreibung zentralasiatischer Sozialräume: Eine Studie über geografische Imaginationen in Reiseberichten für das Russländische Reich (1839-1905).
Antragstellerin
Sofia Lopatina
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung seit 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 551530936
Die imperiale Expansion erforderte Vorstellungskraft. Im neunzehnten Jahrhundert wurde der größte Teil der Welt von einer kleinen Anzahl von Staaten beherrscht: Im Jahr 1914 gehörten 84 % der Weltfläche zu Imperien. Wie wurden die neu eroberten Länder zu einem Teil der imperialen Vorstellungswelt? Die Grundannahme dieser Studie ist, dass die Sinnzuschreibung für die Errichtung von Imperien von grundlegender Bedeutung war. In der modernen Geschichtsschreibung ist ein wachsendes Interesse an den verschiedenen geografischen Vorstellungen der expandierenden Imperien zu beobachten. Während die Forschung die zentralen Aspekte imperialer Diskurse ausführlich erörtert hat, wurde dem Mechanismus der Bedeutungsproduktion bislang nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Das Hauptziel dieses Projekts ist es, die Prozesse der Bedeutungszuschreibung während der imperialen Expansion zu rekonstruieren und die Produktion geografischer Vorstellungen für das Russländische Reich während der Eroberung und Kolonisierung (1839-1905) Zentralasiens nachzuzeichnen. Dieses Projekt untersucht den Prozess der "Erschaffung" Zentralasiens in der Reiseliteratur für das russischsprachige Publikum des Russländischen Reiches. Ich werde die Genrekonventionen des Reiseberichts und gemeinsame Tropen im Hinblick auf geschlechtsspezifische, ethnische und statusbezogene Unterschiede analysieren. Darüber hinaus werde ich den Reisebericht als Teil komplexer sozialen Kommunikation untersuchen sowie die Netzwerke und Hierarchien rekonstruieren, die an der Textproduktion beteiligt sind. In dem Sinne wird ein Versuch unternommen, die Texte als Ergebnis eines Interaktionsprozesses mit mehreren Akteuren zu betrachten, an dem Autoren, Verleger, Leser und weitere Akteure beteiligt sind. Daher beabsichtige ich, eine Methodik zur Untersuchung des Reiseberichts zu entwickeln, die sich nicht nur auf die diskursiven Strategien und Voreingenommenheit der Autoren konzentriert, sondern auch auf den komplexen Hintergrund der Textentstehung und -verbreitung. Ich argumentiere, dass geografische Imaginationen in den Reiseberichten untrennbar mit dem Prozess der Textproduktion verbunden waren. Meine zweite These ist es, dass sich die geografischen Vorstellungswelten von Zentralasien aufgrund von Veränderungen in ideologischen Strömungen, den Entwicklungen in Wissenschaft und Industrie sowie aufgrund anderer Faktoren weiterentwickelten. Durch die Untersuchung geografische Imaginationen und die Prozesse hinter ihrer Entstehung möchte ich den Aufbau von Imperien und die dahinterliegenden imaginativen Prozesse beleuchten. Diese Studie wird auch einen Beitrag zum breiteren Forschungsfeld des Reiseberichtes leisten und neue Einblicke in die alltägliche Funktionsweise eines Reiches geben. Ich werde außerdem einen Beitrag zur russischen Imperialgeschichte leisten, indem ich mich auf bisher "vergessene" Akteure und ihre Stimmen konzentriere, ohne mich auf die Eliten oder politische Interessensgruppen zu beschränken.
DFG-Verfahren
WBP Stelle