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GRK 1507:  Expertenkulturen des 12. bis 16. Jahrhunderts

Fachliche Zuordnung Literaturwissenschaft
Geschichtswissenschaften
Theologie
Förderung Förderung von 2009 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 56357900
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die Forscherinnen und Forscher am Graduiertenkolleg (GK) gingen bei ihrer Arbeit von der Annahme aus, dass die Gesellschaften des ‚lateinischen‘ Europa seit dem 12. Jahrhundert von einem neuen, entscheidenden Moment geprägt waren: von der Emergenz von Sonderwissen, von dessen Verstetigung in neuen gesellschaftlichen Institutionen und – verbunden mit derartiger Institutionalisierung – von der Delegation dieses Wissens an Experten. Dieser Prozess sollte exemplarisch auf vier gesellschaftlichen Feldern in seiner Entstehung und weiteren Transformation verfolgt werden: in der römischen Kirche, an den jungen europäischen Höfen, in den Städten und an den Universitäten. Experten stellten in diesen Kontexten Wissen zur Verfügung und setzten sich damit einer ambivalenten Beurteilung aus. Auf der einen Seite veranlassten sie die Teilhaber an der sozialen Kommunikation, Vertrauen in das Wissen zu setzen, das sie verwalteten und für dessen Richtigkeit sie eintraten; auf der anderen Seite bescherten sie den sozialen Akteuren Verlusterfahrungen: Wo soziale Akteure in ihren lebensweltlichen Belangen immer stärker auf einen Input von Expertenwissen angewiesen waren, stieg die Neigung, die Träger dieses Wissens zu kritisieren. Das GK ging daher im Sinn einer Arbeitshypothese von einer latenten Dialogik von Systemvertrauen und Expertenskepsis aus. Es fragte ferner nach der kulturell produktiven Qualität dieser Dialogik, das heißt nach deren Verantwortlichkeit für die Entstehung neuer Institutionen, Symbole und Denkfiguren. Die Arbeiten, die in diesem wissensgeschichtlich und interdisziplinär angelegten GK während der Jahre 2009 bis 2018 entstanden, haben viele neue Erkenntnisse zu den epistemischen wie sozialen Bedingungen der Vormoderne erbracht, und dies seit der zweiten Förderphase ab 2013 für die Jahrhunderte bis an die Schwelle der Moderne. Sie haben unter den Prämissen des Kollegs Wissensfelder und ihre Institutionen neu bestimmt (Medizin an mittelalterlichen deutschen Universitäten und in der Renaissance, „cultural brokers“ zwischen westlichen Höfen und dem byzantinischen Kaiserhof, Fürstenerziehung im Reich, Renaissance-Humanismus, die mendikantische Skandinavien- und die jesuitische China-Mission, der Habitus von Gelehrten, militärisches Projektemachen), haben gesellschaftliche Diskurse auf den Beitrag der Experten zu Neuverhandlungen von Wissen hin untersucht („Nützlichkeit“ der Pariser Universitätsphilosophie, „Reform“ im 15. Jahrhundert, die literarische Verhandlung von „Recht“ und „Moral“, das Wirtschaften und die scholastische Wirtschaftslehre, Aneignungen der Antike in der Stadtbetrachtung der Renaissance), und sie haben nach den damit implizierten Transformationen europäischer Gesellschaften gefragt (die Entstehung wissenschaftlichen Denkens, die Empirie der theologischen Türkenbilder, die Begleitung der Literaturproduktion durch Literaturkritik, die Didaktisierung und zunehmende Objektorientierung der akademischen Lehre). Ein übergreifendes Ergebnis von besonderer Bedeutung ist die Erkenntnis, dass sich der Experte nur adäquat als ein sozialer Rollentypus verstehen lässt, der aus der konkreten Kommunikationssituation zwischen Experte und Laie heraus verstanden werden muss. Das bedeutet, dass es ihre Performativität ist, die Expertenkulturen als solche auszeichnet. Diese Wendung zu einem konsequent praxeologischen Ansatz hat während der zweiten Förderphase dafür gesorgt, dass am GK nicht mehr das spezifische Wissensarsenal des Expertentums erforscht wurde, sondern stattdessen die Interaktionen, Inszenierungsformen und situativ aufgerufenen Ranggefälle, in denen sich Expertentum aktualisiert. Ein weiteres Ergebnis besteht in der Tatsache, dass die Veränderungen solcher Experten-Performanzen seit dem ausgehenden Mittelalter einhergehen mit der Genese und Transformation von Wissensmärkten. Das heißt: Sie besitzen eine ökonomische Basis, und diese wurde in der letzten Phase des GK besonders intensiv erforscht.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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