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Das Zitat in Prosatexten der römischen Literatur

Fachliche Zuordnung Griechische und Lateinische Philologie
Förderung Förderung von 2007 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 59799506
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

„Zitat“ und „Zitieren“ sind Konzepte, von denen heute jeder eine intuitive Vorstellung hat, die es ermöglicht, Zitate in der Regel ohne größeren Reflexionsaufwand zu erkennen. Auch bei antiken lateinischen Prosatexten scheint das der Fall zu sein, denn hier kann man ebenfalls eine Praxis beobachten, die dem, was wir „Zitieren“ nennen, nahe kommt. Bedenklich stimmt jedoch, dass die Römer kein Wort für „Zitat“ im heutigen Sinne kannten und auch für den Vorgang des Zitierens erst spät ein eigenes Vokabular entwickelt haben. Hinzu kommt, dass die „Zitate“, die wir in den antiken lateinischen Texten erkennen, offensichtlich nicht denselben Normen folgen, die für heutiges Zitieren Gültigkeit haben. Ziel der Arbeit ist es, die Unterschiede zwischen moderner und antiker Zitierpraxis herauszuarbeiten und die dahinterliegenden Normen zu beschreiben und zu erklären. Anders als in der bisherigen Forschung habe ich mich nicht in erster Linie dafür interessiert, welche Rolle und Funktion konkrete Zitate innerhalb der Argumentation eines bestimmten Werkes haben. Vielmehr habe ich mir die Frage gestellt, aufgrund welcher Regeln oder Normen antike Zitate anders aussehen als solche in modernen Texten, unter welchen Voraussetzungen antikes Zitieren also geschehen konnte. Dazu habe ich als Untersuchungsgegenstand gut erkennbare Zitate gewählt, lege ein umfangreiches Corpus aus ca. 45 Werken von insgesamt fünf Autoren zugrunde und vergleiche mit Hilfe einer Datenbank ca. 4000 Fundstellen. In einem einleitenden Teil entwickle ich eine Theorie des Zitierens als intertextuelle Kommunikation, aus der ich die Kategorien ableite, mit deren Hilfe ich meine Untersuchung durchführe. Wie die Arbeit am vorliegenden Projekt verdeutlicht hat, führt das Thema Zitieren in sehr viele verschiedene Richtungen, die bisher noch nicht aus einer gemeinsamen Perspektive in den Blick genommen wurden. Die Frage, ob und wie antike Rezipienten die Texte wahrgenommen haben könnten, vor denen auch ich selbst stand, mündete immer wieder in grundsätzliche Probleme der Interpretation, der kognitiven Verarbeitung von Text und Sprache und des Einflusses kultureller Bedingungen auf den Rezeptionsprozess. Für bestimmte Aspekte existieren dabei zum Teil umfangreiche theoretische Reflexionen in moderner Linguistik und Literaturwissenschaft, während klassisch-philologische Untersuchungen zu Zitaten bevorzugt exemplarisch vorgehen und ihre Beschreibungsraster an konkreten Texten entwickeln. So war es einerseits erforderlich, mich in sehr unterschiedliche Themenkomplexe einzuarbeiten, die unter dem Aspekt des Zitierens bisher noch nicht aufgearbeitet waren, andererseits erwies es sich zuweilen als schwierig, meine Textbeobachtungen angemessen in die erarbeiteten theoretischen Kategorien zu übersetzen. Als Ansatzpunkt für meine Darstellung habe ich das Kriterium der Zitatmarkierung gewählt, d.h. die Frage, mit welchen Mitteln man Zitate erkennbar gemacht hat und sie erkennen konnte. Diese Kategorie manifestiert sich von allen in Frage kommenden am deutlichsten als Textmerkmal und ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass eine Kommunikation mittels Zitaten gelingen kann. Im Ergebnis kristallisiert sich als grundlegende Differenz zwischen antikem und modernem Zitieren die unterschiedliche Bedeutung von Schriftlichkeit und schriftlichen Texten in Antike und Neuzeit heraus. In einer Kultur, in der Bücher nicht identisch reproduzierbar und viel weniger selbstverständlich erreichbar sind, orientiert sich offenbar auch das Zitieren, der Rückgriff auf frühere literarische Werke, eher an den Bedingungen der Mündlichkeit. Im Untersuchungscorpus zeigt sich dies auf vielerlei Art und Weise: Durch das geringe Interesse, zitierte Passagen effektiv auffindbar zu machen, das Fehlen von Referenzsystemen unterhalb der Buchgrenze, die Konzentration auf personale Instanzen als Ursprung des Zitierten, den weitgehenden Verzicht auf wortlautliche Wiederholung, sobald nicht metrisch gebundene und damit memorierbare Rede wiedergegeben wird, und die große Rolle, die bekannte, kanonische und autoritative Texte spielen, die im kulturellen Gedächtnis der jeweils zeitgenössischen Rezipienten auch ohne Rückgriff auf eine Schriftfassung aktiv verfügbar waren. Dieser mündlich geprägte Charakter ist es meinen Erkenntnissen zufolge auch, der dazu führt, dass Zitate von anderen Formen der Wiederverwendung von Sprachgut wie beispielsweise Sprichwörtern, Exempla oder Anekdoten begrifflich nicht unterschieden sind und sehr häufig als „fremde Rede“ behandelt werden. Auch wenn antike Zitate, als Resultat des Zitierens, ihren modernen Pendants in vielen Punkten gleichen, hatte das Zitieren schriftlicher und literarischer Texte für den römischen Literaturbenutzer also durchaus andere Implikationen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2010. Fremde Rede - Eigene Rede. Zitieren und verwandte Strategien in antiker Prosa. Hg. U. Tischer und A. Binternagel, Frankfurt a.M. u.a.
    Tischer, U.; Binternagel, A. (Hg.)
  • 2010. „Aspekte des Zitats. Überlegungen zur Anwendung eines modernen Konzepts auf antike lateinische Texte“. In Fremde Rede - Eigene Rede. Zitieren und verwandte Strategien in antiker Prosa. Hg. U. Tischer und A. Binternagel, Frankfurt a.M. u.a., 93– 109
    Tischer, U.
  • 2013. „manifestus error? Falsches Zitieren und literarische Kommunikation (zu Gel. 15.6)“, Mnemosyne 66, 411–432
    Tischer, U.
  • 2015. „Zitat, Fragment und Kontext. Enn. Ann. frg. 6,14 SK. und die Rolle kontextueller Aspekte bei der Deutung von Fragmenten“, Hermes 143, 333–355
    Tischer, U.
  • 2016. „Cicero trifft Vergil. Allegorese, Zitat und die Genese einer biographischen Notiz aus dem Leben Vergils (Serv. ecl. 6,11)“, Materiali e discussioni per l’analisi dei testi classici 77, 57–100
    Tischer, U.
  • 2017. „Nostra faciamus. Quoting in Horace and Seneca". Horace and Seneca: Interactions, Intertexts, Interpretations, edited by Martin Stöckinger, Kathrin Winter and Andreas T. Zanker, Berlin, Boston: De Gruyter, 2017, pp. 289-314
    Tischer, U.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110528893-013)
  • (2018): Text, Kontext, Kontextualisierung. Moderne Kontextkonzepte und antike Literatur. 1st ed. Hildesheim: Georg Olms Verlag (Spudasmata, 179)
    Tischer, U.; Forst, A.; Gärtner, U. (Hg.)
  • (2018): Text, Kontext, Kontextualisierung. Moderne Kontextkonzepte und antike Literatur. 1st ed. Hildesheim: Georg Olms Verlag (Spudasmata, 179)
    Tischer, U.; Forst, A.; Gärtner, U. (Hg.)
 
 

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