Informationsstruktur und neurokognitive Grundlagen: Inferenzen und Wortstellungsvariationen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Emmy Noether-Projekt hatte zum Ziel, den Einfluss informationsstrukturellen Wissens auf die Verarbeitung referentieller Prozesse zu untersuchen. Sprecher nutzen einen bestimmten Code um Information zu „verpacken“ und den Adressaten dadurch die Informationsaufnahme zu erleichtern. So wird zum Beispiel im Deutschen die Information, über die eine Aussage gemacht wird („Topik“), als erstes genannt, was zu nicht-kanonischer Wortstellungsvariation führen kann; im Japanischen wird neben positionalen Hinweisen ein morphologischer Marker (-wa) verwendet, um Topikalität zu signalisieren. Mit Hilfe ereigniskorrelierter Potentialmessungen (EKPs) wurde untersucht, welche Prozesse bei der Verarbeitung referentieller Ausdrücke und informationsstruktureller Hinweise zu beobachten sind. Die Ergebnisse des Projektes haben das folgende gezeigt: • Positionsspezifische Hinweise beeinflussen die referentielle Verarbeitung. So sind z.B. im Deutschen unterschiedliche Verarbeitungsmuster für satzinitiale und –mediale referentielle Ausdrücke zu beobachten. • Referenzialisierungsprozesse unterliegen sprachspezifischen Variationen. So obliegen z.B. satzinitiale referentielle Ausdrücke im Deutschen, Japanischen und Mandarin Chinesischen sprachspezifischen Restriktionen. • Prosodische Realisierung des Informationsstatus beeinflusst die Sprachverarbeitung unmittelbar. • Semantische Vorbahnung überschreibt Definitheitseffekte, während andere formspezifischen Hinweise die inkrementelle Verarbeitung beeinflussen. Auf Basis der gewonnenen Befunde zu Referenzialisierungsprozessen lässt sich eine Spracharchitektur postulieren, die auf zwei grundlegende Mechanismen zugreift : • Erwartungsgesteuerte Verarbeitung beeinflusst das Interpretationssystem und kontextuelle Vorbahnung reduziert den Verarbeitungsaufwand. Dies zeigt sich durch stabile N400-Effekte für den Faktor Informationsstatus; aber auch andere kontextuelle Faktoren, die eine bestimmte Erwartungshaltung auslösen, führen zu N400-Modulationen. • Referentielle Verarbeitung ist ein diskursdynamischer Prozess. Informationsverpackungseffekte führen zu diskursinternen Operationen, die die Aktualisierung der Diskursrepräsentationstruktur fordern und sich in einer Späten Positivierung widerspiegeln. Das Projekt leistet einen Beitrag zur neurokognitiven Modellierung durch die Erweiterung bisheriger Modelle um diskursbasierte Phänomene. Darüber hinaus liefert es neue Erkenntnisse zur Schärfung der Interpretation von EKP-Effekten: • Diskurs-dynamische Operationen bestärken (diskurs)semantische Erklärungen der Positivierung (cf. „semantische P600“) und informationsstrukturelle Effekte fordern eine extra-lexikalische Erklärung der N400 ein. • Ergänzende Zeit-Frequenzanalysen unterstützen die funktionale Differenzierung zeitgleich auftretender Effekte. Im gestörten Sprachsystem von Broca Aphasikern führt die Präsentation von Sätzen im Kontext nicht zu einem generellen Verarbeitungsvorteil.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2010). Pitch accent type affects the N400 during referential processing. NeuroReport, 21, 9, 618-622
Schumacher, Petra B. & Stefan Baumann
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(2011). Topic matters – impact of information structure on referential processing: Electrophysiological evidence from Chinese and German. Doctoral dissertation. Mainz: Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Hung, Yu-Chen
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(2012). (De-)Accentuation and the processing of information status - Evidence from event-related brain potentials. Language and Speech, 55, 3, 361-381
Baumann, Stefan & Petra B. Schumacher
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(2012). Context in neurolinguistics: Time-course data from electrophysiology. In: Rita Finkbeiner, Jörg Meibauer, & Petra B. Schumacher. (Eds). What is a Context? Linguistic Approaches and Challenges. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins, 33-53
Schumacher, Petra B.
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(2012). Positional influences on information packaging: Insights from topological fields in German. Journal of Memory and Language, 67, 2, 295-310
Schumacher, Petra B. & Yu-Chen Hung
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(2012). Topicality matters: Position-specific demands on Chinese discourse processing. Neuroscience Letters, 511, 2, 59-64
Hung, Yu-Chen & Petra B. Schumacher
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(2013). New is not always costly: Evidence from online processing of topic and contrast in Japanese. Frontiers in Psychology. 4:363
Wang, Luming, & Petra B. Schumacher
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(2014). Animacy matters: ERP evidence for the multi-dimensionality of topic-worthiness in Chinese. Brain Research, 1555,36-47
Hung, Yu-Chen & Petra B. Schumacher
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(2015). Backward- and forwardlooking potential of anaphors. Frontiers in Psychology, 6, 1746
Schumacher, Petra B., Jana Backhaus & Manuel Dangl
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(2016). Towards a neurobiology of information structure. In: Caroline Féry & Shinichiro Ishihara. (Eds.) The Oxford Handbook of Information Structure. Oxford: Oxford University Press, 581-598
Bornkessel-Schlesewsky, Ina & Petra B. Schumacher