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Das "Sipplinger Dreieck" als Modell jung- und endneolithischer Siedlungs- und Wirtschaftsdynamik am Bodensee

Antragsteller Dr. Helmut Schlichtherle
Fachliche Zuordnung Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Förderung Förderung von 2008 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 62215951
 
Erstellungsjahr 2013

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Durch taucharchäologische Sondagen und Bohrungen im Bodensee bei Sipplingen sind 15 Feuchtbodensiedlungen (sog. Pfahlbauten) des Jung- und Endneolithikums (4. bis 3. Jts. v.Chr.), sowie 2 Anlagen der Bronzezeit (2.-1. Jt. v.Chr.) erschlossen worden. Umfangreiche dendrocharchäologische Untersuchungen erbrachten eine scharfe Datierung der Stratigraphie, die partielle Erfassung von Hausgrundrissen und Siedlungsplänen, sowie weitgehende Ergebnisse zur Ökologie und Waldwirtschaft. Im Verbund mit Kartierungen lassen sich unterschiedliche Siedlungsgrößen und Siedlungsverlagerungen erkennen, wobei häufige Siedlungsunterbrüche und eine hohe Dynamik der prähistorischen Gemeinschaften erkennbar werden. Die Aufschlüsse ergaben exemplarische Fundkomplexe (Keramik, Steingeräte, Holz-, Knochen- und Geweihgeräte, Textilien, Belege der Kupfermetallurgie) und vor allem umfangreiche Probenmaterialien für archäobotanische und archäozoologische Untersuchungen. Die Reste der materiellen Kultur lassen Phasen des beschleunigten Kulturwandels um 3900, 3400 und 2800 v.Chr. erschließen und geben Anhaltspunkte für einen Wandel der Rohmaterialdistributionssysteme und das Einsetzen technologischer und landwirtschaftlicher Innovationen. Die gewonnenen Fundkomplexe und biostratigraphischen Serien ergänzen die bisherigen Kenntnisse zum Neolithikum des Bodenseeraumes in entscheidender Weise und führen in einer Synthese zu neuen Modellen der Landnutzung in Waldzyklen, wobei vor allem die Zyklen 3950-3650 v.Chr. und 3330-2970 v.Chr. detailliert erschlossen sind. Es lassen sich zudem aufschlußreiche Zusammenhänge zwischen Siedeltätigkeit und Klimaentwicklung erkennen. Die Zyklen zeigen, ausgehend von Pioniergründungen in Naturwäldern, Etappen der Prosperität in Sekundärwäldern während klimabegünstigter Phasen und einen Niedergang, der jeweils mit einer Erschöpfung der Baumbestände im Siedlungsterritorium einhergeht und zugleich mit klimatischen Einbrüchen gekoppelt ist. Zwischen den Zyklen bestehen jedoch grundsätzliche Unterschiede. Während die jungneolithische Subsistenzwirtschaft in einem starken Ausmaß auf dem Getreidebau fußte, erlangte im Endneolithikum der Anbau von Mohn und Faserlein und vor allem die Haustierhaltung größere Bedeutung. Im Vergleich mit biostratigraphischen Serien am Zürichsee und weiteren Daten in der Westschweiz können gleichläufige Entwicklungen aufgezeigt, aber auch Unterschiede erkannt werden, die chorologisch zu erklären sind. Isotopenanalysen an zoologischem und botanischem Material, pedologische off-site Untersuchungen im mineralischen Siedlungshinterland und Tragfähigkeitsanalysen ergänzen die Ergebnisse um Aspekte der Landschaftsrekonstruktion, um Modelle zum Flächenverbrauch unterschiedlicher Betriebssysteme und um Fragen nach der Düngung von Feldflächen. Überraschend waren die Funde steinzeitlicher Kleidungsstücke (Hut und Schuhe) aus Gehölzbast. Sie illustrieren die hervorragende Erhaltung der Kulturschichten unter Wasser. Eine Pressekonferenz und mehrere Pressetermine (2009-13) brachten ein umfangreiches Echo mit Meldungen in den Landesnachrichten, Filmreportagen in der Landesschau (SWR) und eine Beteiligung an Filmproduktionen von ARTE und des ZDF. Zudem erschienen neben zahlreichen Zeitungsberichten zu den taucharchäologischen Untersuchungen in der regionalen Presse ein Artikel in der Bildzeitung (11.3.2009) und ein ganzseitiger Beitrag in der Süddeutschen Zeitung (4.5.2012). Die Ergebnisse des Projektes sind für die weitere Erforschung der Jungsteinzeit im südwestdeutsch-schweizerischen Alpenvorland von grundlegender Bedeutung und spielen für die Vermittlung des 2011 von der UNESCO eingeschriebenen Welterbes „Prähistorische Pfahlbausiedlungen um die Alpen“ eine wichtige Rolle.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Besiedlungsgeschichte und –dynamik der jung-steinzeitlichen Pfahlbausiedlungen von Sipplingen „Osthafen“, Bodenseekreis. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 2008 (2009) 45-49
    I. Matuschik/A. Müller/H. Schlichtherle
  • Die jung- und endneolithischen Seeufersiedlungen von Sipplingen „Osthafen“ am Bodensee: Besiedlungs- und Wirtschaftsdynamik im eng begrenzten Naturraum des Sipplinger Dreiecks. In: I. Matuschik u.a. (Hrsg.), Vernetzungen. Aspekte siedlungsarchäologischer Forschung. Festschrift für H. Schlichtherle zum 60. Geburtstag (Freiburg i.Br. 2010) 253-286
    A. Billamboz, U. Maier, I. Matuschik, A. Müller, W. Out, K. Steppan, R. Vogt
  • Ein Produktionsplatz der Steinbeilherstellung in Sipplingen-Osthafen, Schicht 11 (3316-3303 v.Chr.), Bodenseekreis. Nachr.bl. Arbeitskr. Unterwasserarch. 16, 2010, 77-84
    I. Matuschik/A. Müller
  • Fortsetzung der taucharchäologischen Untersuchungen in der Sipplinger Pfahlbaubucht. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 2010 (2011) 85-88
    I. Matuschik/A. Müller
  • Die Siedlungs- und Wirtschaftsdynamik in Sipplingen „Osthafen“ im Spiegel der Klimaentwicklung im 4. Jahrtausend v.Chr. In: F. Daim/D. Gronenborn/R. Schreg (Hrsg.), Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung. Tagung des RGZM 2008. RGZM-Tagungen Bd. 11 (Mainz 2011) 169-181
    I. Matuschik/A. Müller
  • Flax Cultivation and Textile Production in Neolithic Wetland Settlements on Lake Constance and in Upper Swabia (south-west Germany). Veget. Hist. Archaeobot. 20, 2011, 567-578
    U. Maier/H. Schlichtherle
  • Schicht für Schicht – Besiedlungsgeschichte unter Wasser. Arch. Deutschland 2011/6, 26-28
    A. Billamboz/I. Matuschik/A. Müller
  • Archäozoologische und isotopenchemische Aspekte der jungsteinzeitlichen Wirtschafts- und Umweltdynamik im Sipplinger Dreieck, Bodenseekreis. In: F. Schlütter/S. Greiff/M. Prange (Hrsg.), Archäometrie und Denkmalpflege 2012. Metalla 5, 2012, 89-91
    K. Steppan/E. Stephan
  • Les villages néolithiques de la baie de Sipplingen sur le lac de Constance: rythmes de l´occupation dans le contexte de l´économie forestière. In: M. Honegger/Cl. Mordant (Hrsg.), L´Homme au bord de l´eau. Archéologie des zones littorales du Néolithique à la Protohistoire. Actes du 135e congrès national des sociétés historiques et scientifiques de CTHS „Paysages“ Neuchâtel 2010. Cahiers d´Arch. Romande 132 (Lausanne 2012) 299-314
    A. Billamboz
  • Zum Fortgang der Geländeuntersuchungen in der Sipplinger Pfahlbaubucht. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 2011 (2012) 22-27
    I. Matuschik/A. Müller
  • Abschließende Geländeuntersuchungen zum DFG-Forschungsprojekt „Das Sipplinger Dreieck als Modell jung- und endneolithischer Siedlungs- und Wirtschaftsdynamik am Bodensee“. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 2012 (2013) 25-31
    I. Matuschik/A. Müller
 
 

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