Grabungen in al-Andarin, dem antiken Androna, zur Untersuchung der Kirchenarchitektur einer frühbyzantinischen Siedlung in Mittelsyrien
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die scheinbar unübersichtliche Hügellandschaft von al-Andarin ist artifiziell und ergibt erst auf Luftaufnahmen ein geschlossenes Siedlungsbild, an dem innerhalb eines Mauerrings die dicht gedrängte Bebauung mit Hofhäusern von einer Reihe öffentlicher Bauwerke zu unterscheiden ist. Mit archäologischen Untersuchungen in der nahezu unberührten Wüstung der spätantiken Siedlung wurde 1997 begonnen. Seitdem haben syrische, deutsche und britische Archäologen neben einigen Stellen der Stadtmauern und zwei Wohnhäusern vor allem das Kastron im Ortskern und zwei benachbarte Thermen untersucht. Außerdem wurde Fragen nach Umweltfaktoren im Umland nachgegangen, die in erster Linie der Wasserversorgung unter ariden Bedingungen galten. Sie hatten aber auch die Lokalisierung von Steinbrüchen für den in Andarin verwendeten Basalt erbracht. Die antike Infrastruktur ermöglichte eine intensive Landwirtschaft mit Weinanbau. Fischzucht wurde in Bassins betrieben, außerdem ist von der üblichen Nutztierhaltung auszugehen. Insgesamt waren die ökonomischen Voraussetzungen für einen beachtlichen Wohlstand gegeben. Von ihm zeugt auch der Ausstattungsluxus mit wertvollen Materialien wie Buntmarmor und Bodenmosaiken, der nicht nur in den repräsentativen öffentlichen Gebäuden, sondern auch in den Wohnhäusern vertreten ist. Blütezeit der Siedlung waren nach Anfängen im 4. Jh. vor allem das 5. und 6. Jh. Androna hat eine ganz eigenartige Stellung im spätantiken Siedlungsbau besessen, der sich in der späteren Bilad ash-Sham in so unvergleichlich reichhaltiger Weise erhalten hat. Die Siedlung hat keine prägende hellenistisch-römische Vorgängerbebauung besessen, konnte mit seiner funktional und bautypologisch ausdifferenzierten Bebauung aber urbanistische Strukturen entwickeln, die sich deutlich von einer gleichzeitigen Siedlung wie Umm al-Djemal unterscheidet. Andronas Wohlstand scheint von einer lokalen Elite getragen worden zu sein, die sich auch in einer überwiegend griechisch geprägten Epigraphik ge-äußert hatte, und zu der im 6. Jh. ein gewisser Thomas mit seinen aufwendigen Stiftungen gehörte. Wie passt die Kirchenarchitektur in dieses Bild? Sie wurde bislang bewusst als eigenes Themenfeld von den bisherigen Forschungen ausgenommen und stand im Fokus unseres Projekts. 2010 wurde mit der Untersuchung der ‚Kathedrale’ begonnen. Ihre Bezeichnung ist irreführend, weil Androna als komē keinen eigenen Bischof besaß. Sie ist wegen ihrer zentralen Lage und ihrer Größe dennoch als Hauptkirche der Siedlung anzusehen. Bei ihrer Untersuchung wurde von bautypologischen, bautechnischen, chronologischen und urbanistischen Fragen ausgegangen. Dabei war der Grundriss bereits durch die von H. C. Butler publizierten Ergebnisse der Princeton Expedition bekannt, wie auch ältere Fotos die Anlage in einem ungleich besseren Zustand zeigen. In bautypologischer Hinsicht konnte das bisherige Bild von einer Weitarkadenbasilika mit einem dreiteiligen Sanktuarium und einer Vorhalle im Westen bestätigt werden. Am nördlichen Apsisnebenraum wurde eine bislang nicht nachgewiesene Rundapsis freigelegt. Ansonsten ergaben die Messungen, dass Butler vor über einhundert Jahren ausgesprochen präzise gearbeitet hatte, was angesichts der damaligen Bedingungen und dem enormen Zeitdruck noch nachträglich allerhöchsten Respekt abverlangt. Ergiebiger waren die Resultate hinsichtlich bautechnischer Details. So konnte ein profiliertes Sockelgesims aus hellem Kalkstein in situ aufgefunden und das einst darüber aufgehende Mauerwerk aus demselben Material im Versturz nachgewiesen werden; diese Bereiche kontrastieren farblich mit dem zweischaligen Quadermauerwerk aus Basalt. Im Innenraum wurden Partien von Böden in opus sectile-Technik und Mosaik freigelegt, die dem Ausstattungsluxus in den profanen Gebäuden entsprechen. Bezüglich der Chronologie sind die Resultate in zweierlei Hinsicht relevant. Zum einen erhärten sich die Gründe für eine Datierung in das 5. Jh., weil ein 2010 entdeckter Türsturz aus dem Umkreis der Anlage ein Datum aus den Jahren 491/92 trägt. Folgerichtig ist die ‚Kathedrale‘ der älteste im Ortskern stehende datierbare Bau, auf den erst im 6. Jh. das von dem besagten Thomas gestiftete Kastron mit dem benachbarten Bad und zuletzt das ‚umayyadische‘ Bad folgten. Zum zweiten konnte für die ‚Kathedrale‘ ein älterer Vorgängerbau ausgeschlossen werden. Die schriftlich überlieferte spätrömische mansio ist damit weiterhin nicht lokalisiert und muss an anderer Stelle gestanden haben. 2010 konnte außerdem mit der Untersuchung des großen Walls begonnen werden, der das Kirchenareal rechteckig umschließt. Er ist die Ruine einer wohl zweistöckigen, aus Lehmziegeln errichteten Anlage, deren Räume auf den Kirchhof geöffnet waren. Die Öffnung nach außen, vor allem auf den zentralen Platz, ist bislang noch nicht geklärt. Das Gebäude ist auch deshalb so bemerkenswert, weil sie die Hauptkirche und damit eines der zentralen Bauwerke Andronas massiv vom öffentlichen Raum absetzt, so wie auch das am selben Platz errichtete jüngere Kastron mit seinen hohen Steinmauern eine separate Anlage im Ortskern darstellt. Beide Gebäude belegen eindrücklich die eigenartige Bedeutung, die Androna für die facettenreiche Urbanistik in den Provinzen des byzantinischen Syrien besessen hat.