Von Conduct-by-Wire zu einer kooperativen Fahrzeugführung: Erweiterung und Validierung eines Konzepts für kooperative, manöverbasierte Fahrerassistenz
Final Report Abstract
Gegenstand dieses Forschungsvorhabens ist die Untersuchung der Fragestellung, ob eine manöverbasierte Fahrzeugführung nach dem Conduct-by-Wire-Konzept (kurz CbW) technisch realisierbar ist. Hinsichtlich der fahrzeugseitigen Umsetzung des CbW-Konzepts liegt der Fokus auf der Entwicklung des erforderlichen Funktionsumfangs zur Ausführung der vom Fahrer beauftragten Manöver, auf der Entwicklung eines Interaktionskonzepts zur kooperativen Entscheidungsfindung zwischen Fahrer und Automation während der Manöverausführung sowie auf der Untersuchung der Anforderungen an die maschinelle Umfeldwahrnehmung eines CbW-Fahrzeugs. Als Ergebnis dieses Forschungsvorhabens liegt ein prototypisch in der Simulationsumgebung IPG CarMaker realisierter Funktionsumfang für den außerstädtischen, knotenpunktfreien Diskursbereich vor. Der identifizierte Satz an sogenannten Fahrfunktionen, die die Manöverbefehle des Fahrers auf der Stabilisierungsebene umsetzen, hat sich in systematisch durchgeführten Falsifikationsversuchen bewährt. Zudem sind die Anforderungen an den CbW-Funktionsumfang für den innerstädtischen Diskursbereich und für die Bewältigung außerstädtischer Knotenpunktszenarien systematisch identifiziert. Darüber hinaus liegt ein Konzept für die Realisierung einer kooperativen Interaktion zwischen Fahrer und Automation zur Entscheidungsfindung während der Manöverausführung vor. Aus diesem Konzept werden drei Systemausprägungen abgeleitet, die sich durch den realisierten Automationsgrad und somit durch den Assistenzgrad bei der Entscheidungsfindung unterscheiden. Zudem wird das entwickelte Interaktionskonzept durch ein Sicherheitskonzept erweitert, das das Fahrzeug im Falle einer ausbleibenden Entscheidung der beiden Interaktionspartner in einen sicheren Zustand überführt. Grundlegende Betrachtungen zur Realisierbarkeit zeigen, dass sich dieses Konzept auf 400 repräsentative Szenarien anwenden lässt. Eine Evaluierung dieses Konzepts im Rahmen einer Probandenstudie in einem statischen Fahrsimulator zeigt statistisch nachweisbare Unterschiede zwischen den untersuchten Systemausprägungen hinsichtlich der sicheren Absolvierung der Szenarien, der erforderlichen Entscheidungszeit und der Reaktionszeit bei nicht szenariogerechtem Verhalten der Automation. Die subjektive Beurteilung fällt insgesamt positiv aus, wobei eine Tendenz zu schlechteren Bewertungen mit steigendem Automationsgrad erkennbar ist. Eine systematische Identifikation der sich für die unterschiedlichen Systemausprägungen ergebenden Anforderungen an die maschinelle Umfeldwahrnehmung sowie eine Bewertung deren Realisierbarkeit durch einen Abgleich mit dem heutigen Stand der Forschung und Technik zeigt, dass die für alle Systemausprägungen grundlegenden Anforderungen darstellbar sind. Einschränkungen ergeben sich jedoch hinsichtlich des aus dem Kontextwissen abgeleiteten Informationsbedarfs für die höheren Automationsgrade. Innerhalb des in diesem Projekt möglichen Rahmens einer theoretischen Überprüfung und einer für Grundfunktionen dargestellten Fahrsimulation hat sich das CbW-Konzept bewährt. Es wurde kein Grund gefunden, dass eine technische Realisierung nicht möglich ist. Im Hinblick auf weiterführende Untersuchungen, die durch ein höheres Maß an Realität wichtige Erkenntnisse liefern können, erscheint die Überführung der bisherigen Ergebnisse in ein reales Versuchsfahrzeug vielversprechend. Zu den künftigen Untersuchungsschwerpunkten im Rahmen einer weiterführenden Analyse der technischen Realisierbarkeit des CbW-Konzepts zählen der Einfluss eines realen Umfelds und einer realen maschinellen Umfeldwahrnehmung. Darüber hinaus ist im Kontext der funktionalen Sicherheit zu untersuchen, welche Risiken von einer Fehlfunktion der Automation ausgehen können, welche Maßnahmen zur Risikoreduktion zu verfolgen sind und ob der menschliche Fahrer diese Fehlfunktionen beherrschen kann. Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse einer kooperativen Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug und unabhängig von technischen Gesichtspunkten erscheint eine Ausweitung der kooperativen Interaktion über das eigene Fahrzeug hinaus, beispielsweise auf andere Verkehrsteilnehmer oder die Infrastruktur, ein interessanter und zu verfolgender Ansatz. Die Ergebnisse dieses Forschungsvorhabens bieten mehrere Verwertungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der automatisierten Fahrzeugführung: Zunächst bietet der entwickelte CbW-Funktionsumfang die Möglichkeit, neue Funktionen für die heutige assistierte Fahrzeugführung abzuleiten und als neue Fahrerassistenzsysteme zu kapseln und weiterzuentwickeln. Das in diesem Forschungsvorhaben entwickelte Framework bietet hierbei die Möglichkeit, derartige Konzepte effizient zu evaluieren. Weiterhin stellen CbW oder vergleichbare teilautomatisierte Konzepte eine mögliche Stufe auf dem Migrationspfad von der konventionellen zur vollautomatisierten Fahrzeugführung dar. Basierend auf den Ergebnissen dieses Forschungsvorhabens und insbesondere dem entwickelten Funktionsumfang können höhere Automationsstufen durch eine sukzessive Automatisierung des beim Fahrer verbleibenden Teils der Fahrzeugführungsaufgabe realisiert werden. Zudem ist zu untersuchen, ob sich Conduct-by-Wire als sicherer (Degradations-) Zustand für die vollautomatisierte Fahrzeugführung eignet. Darüber hinaus zeigen Untersuchungen mit potenziellen Systemnutzern positive Ergebnisse. Hierbei zeigt sich, dass insbesondere die Systemausprägungen mit einem niedrigeren Automationsgrad und damit verbundenen niedrigeren technischen Anforderungen von den Befragten bevorzugt werden. Hieraus lässt sich schließen, dass kooperative, teilautomatisierte Fahrzeugführungskonzepte wie CbW über die Rolle einer Brückentechnologie zur Vollautomatisierung hinaus eine eigene Daseinsberechtigung aufweisen und mit der Vollautomatisierung sowohl in Konkurrenz als auch in Koexistenz als Ko- oder Teilfunktionalität stehen. Für die Erforschung dieser und anderer Fragestellungen zur kooperativen Fahrzeugführung ist eine Zusammenführung der beiden DFG-Forschungsvorhaben Conduct-by-Wire und H-Mode anzustreben, in der diese beiden Konzepte als Ausprägungen der kooperativen Fahrzeugführung betrachtet werden.
Publications
- Systematic Development of Manoeuvre-Based Driver Assistance Functions for Conduct-by-Wire with IPG CarMaker. apply & innovate 2010. 15.-16. September 2010 in Ettlingen/Karlsruhe, 2010
Hakuli, S.; Geyer, S.; Winner, H.; Kauer, M.; Schreiber, M.
- Development of a Cooperative System Behavior for a Highly Automated Vehicle Guidance Concept based on the Conduct-by-Wire Principle. 2011 IEEE Intelligent Vehicles Symposium. 05.-09. Juni 2011 in Baden-Baden, 2011
Geyer, S.; Hakuli, S.; Winner, H.; Franz, B.; Kauer, M.
- Integriertes Konzept für die manöverbasierte Fahrerassistenz. In: ATZ Automobiltechnische Zeitschrift, 03/2011, S. 220-223, 2011
Hakuli, S.; Geyer, S.; Winner, H.; Henning, J.
- Ermittlung der Anforderungen an die Umfelderkennung für Conduct-by-Wire. 5. Tagung Fahrerassistenz. 15.-16. Mai 2012 in München, 2012
Geyer, S.; Hakuli, S.; Winner, H.; Franz, B.; Kauer, M.
- Temporal Analysis of the Gate Concept as Enabler for Highly Automated Driving based on the Conduct-by-Wire Approach. 2012 IEEE Conference on Intelligent Transportation Systems ITSC. 16.-19. September 2012 in Anchorage, AK, USA, 2012
Geyer, S.; Karg, M.; Hakuli, S.; Winner, H.; Franz, B.; Kauer, M.
- Entwicklung und Evaluierung eines kooperativen Interaktionskonzepts an Entscheidungspunkten für die teilautomatisierte, manöverbasierte Fahrzeugführung. Fortschritt-Berichte VDI Reihe 12 Nr. 770, VDI-Verlag, Düsseldorf, 2013
Geyer, S.
- Maneuver-based vehicle guidance based on the Conduct-by-Wire principle. In Maurer, M.; Winner, H. (Hrg.): Automotive Systems Engineering. Springer Verlag, Berlin u.a., 2013
Geyer, S.