Koptische nichtliterarische Texte aus dem thebanischen Raum
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt verfolgte zwei Zielsetzungen: erstens, die Edition bislang unpublizierter schriftlicher Hinterlassenschaften aus dem monastischen wie auch weltlichen Umfeld auf Ostraka (Kalkstein- wie Keramikscherben), die seit dem 6., mit Schwerpunkt allerdings im 7. bis zum ausgehenden 8. Jh. n. Chr. im thebanischen Raum belegt sind und zweitens, die Realisierung eines digitalen Publikationsformates. Der Bearbeitungsfokus im Förderzeitraum lag auf den Textfunden aus Deir el-Bachît in Dra’ Abu el-Naga an der Nordspitze des thebanischen Westufers. Die Funde verteilen sich auf drei Fundkontingente: (1) die Funde aus dem Klosterzentrum auf dem Hügelrücken (Ostrakakennung „O Bachit“); (2) die Funde aus den Nebenanlagen des Klosters, die sich in die Vorhöfe der pharaonischen Doppelgrabanlage K 93/11-12 verbaut fanden (Ostrakakennung „O Dan kopt“) und (3) die Funde aus der ca. 200 m entfernt gelegenen Anlage 26, die ebenfalls zum Klosterverband gehören dürfte (Ostrakakennung O Bachit 26-). Das Textkonvolut umfasst zum gegebenen Zeitpunkt brutto 2512 Ostraka, wobei sich diese Zahl im Zuge der editorischen Bearbeitung der Texte dank anpassender Fragmente bereits auf einen Nettowert von 2142 Ostraka reduzieren ließ. Das Ostrakamaterial aus Deir el-Bachît genießt einen besonderen Stellenwert, da es in einen archäologischen Kontext eingebunden und mit detaillierter Funddokumentation versehen in einen interdisziplinären Diskurs zu den übrigen Befunden topographischer, stratigraphischer, architektonischer oder materieller Natur gestellt werden kann. Ein solcher interdisziplinärer Diskurs gehört demzufolge zum festen Bestandteil der verschiedenen Untersuchungsansätze zur Klosteranlage. Die Edition der Texte war von Beginn an verknüpft mit grundlegenden Fragestellungen, zu denen vor allem die Identifizierung der Klosteranlage und ihre historische Verortung zählte. Vor dem Hintergrund verschiedener Indizien wurde die These formuliert, wonach es sich bei dem Kloster um das Pauloskloster von Theben handeln könnte, einer archäologischen Phantomstätte, deren Existenz sich bislang auf einige wenige Papyri gründet. Dieser Identifizierung wurde im Detail in Auswertung inhaltlicher, vor allem aber prosopographischer Daten nachgegangen und vor diesem Hintergrund eine differenzierte Position bezogen. Die derzeit zur Verfügung stehende Textgrundlage weist wesentliche Lücken auf, so etwa im Abgleich der für das Pauloskloster bezeugten Äbte. Überdies ist die Zahl der prosopographischen Übereinstimmungen äußerst gering. Was die historische Verankerung der Klosteranlage vor allem in das bekannte monastische Milieu der westthebanischen Landschaft anbelangt, so ließen die gegebenen Vorzeichen – Größe und exponierte Lage des Klosters; ideale infrastrukturelle Bedingungen; durch Realia, Architekturbefund und Textquellen belegte vielschichtige soziale Kontakte – auf ein dichtes Beziehungsgeflecht schließen. In der Realität aber zeigt sich nach Ausweis des derzeitigen Bearbeitungsstandes an prosopographischen Daten, die Klosteranlage, metaphorisch gesprochen, als ein „Eiland in der Wüste“. Dies ist ein höchst überraschender wie einzigartiger Tatbestand und ein Enigma, für das bislang noch keine zufriedenstellende Lösung oder Erklärung gefunden werden konnte. In Zusammenarbeit mit der IT-Gruppe Geisteswissenschaften der LMU München wurde die Datenbank „Koptische Ostraka online“ (abgekürzt: Koptoo) [URL-Adresse: http://koptolys.gwi.unimuenchen.de] entwickelt, die gleichermaßen eine innovative Publikations- wie auch Arbeitsplattform darstellt. Sie umfasst neben den editorischen Parametern wie Abbildungen, Metadaten, diplomatischer Edition und Anmerkungsapparaten eine umfassende grammatische und semantische Analyse der Texte. Sämtliche Inhalte sind dank multipler Suchoptionen für die wissenschaftliche Auswertung unter verschiedenen Blickwinkeln und Fragestellungen verfügbar. Sie bietet damit für den Nutzer weit mehr Möglichkeiten als es ein konventionelles Print-Format selbst inklusive detaillierter Indices leisten könnte. Für den Bearbeiter wiederum eröffnet sich dank der implementierten Korrektur- und Updatefunktionen die Freiheit, sein Material, auch aus laufenden Grabungen, zeitnah publizieren und damit für die Forschung zur Verfügung und zur Diskussion stellen zu können. Die Datenbank wurde nicht als exklusives Publikationsformat für das vorliegende Projekt entwickelt; vielmehr sollte hierdurch Grundlagenarbeit geleistet werden mit dem Ziel der allgemeinen Etablierung als Publikationsplattform für die koptischen Ostraka aus dem thebanischen Raum. In diesem Sinne fand die Datenbank bereits konkrete Annahme von fachinterner wie auch – was nicht vorgesehen war, jedoch um so gewichtiger für die Datenbank spricht – von fachexterner Seite.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Briefe aus der koptischen Vergangenheit – Zur Identifizierung der Klosteranlage Deir el-Bachît in Theben West. In: MDAIK 67 (2011) 15–30
Günter Burkard (zusammen mit Th. Beckh und Ina Eichner)
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Die Thebais im Morgen- und Abendland. In: F. Feder/A. Lohwasser (Hrsg.), Ägypten und sein Umfeld in der Spätantike. Vom Regierungsantritt Diokletians 284/285 bis zur arabischen Eroberung des Vorderen Orients um 635-646. Akten zur Tagung vom 7.-9.7. 2011, Wiesbaden 2013, S. 157-191
Günter Burkard
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The Ostraca of Deir el-Bachit and the „Anatolios-Zacharias Archive“. In: P. Buzi/A. Camplani/F. Contardi (Hrsg.), Coptic Society, Literature and Religion from Late Antiquity to Modern Times. Proceedings of the 10th International Congress of Coptic Studies, Rome, September 17th-22nd 2012, and Plenary Reports of the Ninth International Congress of Coptic Studies, Cairo, September 15th-19th, 2008. [OLA 247], Leuven 2016, S. 723-738
Günter Burkard