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Wechselwirkungen öffentlicher Glaubwürdigkeit und Organisiertheit mit Mentalitäten und Biographien religiöser Friedensstifter in Bosnien-Herzegovina

Fachliche Zuordnung Evangelische Theologie
Förderung Förderung von 2008 bis 2011
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 66598030
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Auch während des zweiten Berichtszeitraums wurde im Forschungsprojekt „Das Ethos religiöser Friedenstifter“ die Frage gestellt, welche religions- und konfessionsübergreifenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede religiöse Friedenstifter in Bosnien und Herzegowina (BiH) aufweisen. Zur Beantwortung wurden habituelle Dispositionen und religiöse Stile zu Glaubwürdigkeit und religiöser Organisiertheit sowie zu allgemeinen soziodemographischen Merkmalen in Beziehung gesetzt. Im Zuge dessen knüpften wir methodisch vor allem an die Webersche und Bourdieusche Forschungstradition an. Feldforschung: Im Anschluss an eine Pilotphase, während der der Interviewleitfaden getestet und angepasst wurde, wurden insgesamt 90 halbstrukturierte und protokollierte (Netto-)Interviews mit RepräsentantInnen von 15 lokalen religiösen Organisationen aus Sarajevo, Banja Luka und Mostar, d.h. ca. sieben Interviews pro Fokusgruppe, durchgeführt und für die weitere Bearbeitung transkribiert. Um eine größtmögliche Kongruenz zu den Daten aus der ersten Feldforschungsphase zu gewährleisten, wurde versucht, ein max variation sample zu erreichen, was jedoch z.T. in Vollerhebungen oder auch in Schneeballsamples mündete. Außerdem wurde die Projektdokumentation über die Fokusgruppen vervollständigt. Interviewauswertung: Die bereinigten und aufbereiteten Interviewdaten wurden in Atlas.ti kleinschrittig textimmanent codiert und indexiert, bevor in einem zweistufigen Prozess der Komplexitätsreduktion die Daten entsprechend ihres semantischen Gewichts nach Maßgabe einer schwachen Quantifizierung sortiert wurden. In einer vergleichenden Habitusanalyse wurden die logischen Relationen zwischen den kognitiven Dispositionen der Akteure rekonstruiert und im Modell des praxeologischen Quadrats für einen interreligiösen Vergleich transparent gemacht. Ergebnisse der Habitusanalyse: Die Forschungshypothesen wurden weitestgehend bestätigt, d.h. durch die Habitusanalyse konnte gezeigt werden, dass Akteure, die derselben Habitusformation zugerechnet werden, trotz unterschiedlicher religiöser Provenienz und Identität sehr ähnliche strategische Interessen und Ziele vertreten. Wichtig ist außerdem, dass in beinahe allen Interviews der Einfluss der Internationalen Gemeinschaft kritisiert wird, und zwar im Blick auf Schwächen des international konzertierten Friedensabkommens und mangelnde Nachhaltigkeit der Nachkriegspolitik, die dazu führt, dass die Kriegs- direkt in eine Armutsproblematik übergeht. Diese Kontinuität menschlicher Unsicherheit bestimmt neben der ethnischen Polarisierung die politische Meinungsbildung in BiH. Dabei zeigen die Projektresultate, dass die gängige Annahme, der Differenzierung entlang ethnisch-religiöser Trennlinien käme das Primat hinsichtlich sozialer Strukturierung zu, nicht haltbar ist, sondern dass die Segmentierung hinter hierarchische und funktionale Differenzierung in den Hintergrund tritt. Auch wenn die Situierung in einer religiösen Mehr- oder Minderheitssituation eine besondere Rolle für das Problembewusstsein und die Zielsetzungen der Akteure spielt, hängen Allianz- und Konfliktperspektiven wesentlich von relativer interner Organisiertheit und öffentlichen Glaubwürdigkeitszuschreibungen ab. Aufgrund dieser multiplen sozialen Ungleichheiten sind die theologische Diskussion und der interreligiöse Dialog in BiH trotz interreligiös anschlussfähiger Dispositionen durch interessen- und identitätspolitische Faktoren kompromittiert. Anwendungsperspektiven und denkbare Folgeuntersuchungen: Um die Resultate einem breiteren Publikum und insbesondere Friedensaktivisten zugänglich zu machen, wurden fruchtbare Kontakte zu entsprechenden Organisationen (bspw. GTZ, FriEnt, WCC) geknüpft. Die im Projekt (weiter-)entwickelten und erprobten Methoden werden bereits in anderen Untersuchungen eingesetzt. Zudem sind Folgestudien zu einem Vergleich der Friedensprozesse in SOE und Lateinamerika sowie zu friedensethischer Theoriebildung geplant.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • „Das Ethos religiöser Friedenstifter“, in: EPD Dokumentation 10/08. Religion – Konflikt – Frieden (Beiträge zur Jahrestagung 2007 des Forschungsverbundes Religion und Konflikt), Frankfurt a.M. 2008
    Schäfer, Heinrich; Hahne, Patrick; Seibert, Leif
  • „Interreligiöse Friedensarbeit am Beispiel Bosnien-Herzegovinas“ in: Loccumer Protokolle: Frieden und Gerechtigkeit. Loccum 2009
    Seibert, Leif
  • „Glaubwürdigkeit als religiöses Vermögen. Grundlagen eines Feldmodells nach Bourdieu am Beispiel Bosnien-Herzegowinas.“ In: Berliner Journal für Soziologie 1/2010, S. 89-117
    Seibert, Leif
  • „Frauenorganisation „Kewser“: Zwischen der islamischen spirituellen Erweckung und Frauenemanzipation.“ in: Mualla Selçuk; Ina Wunn (Hg.): Islam, Frauen und Europa: Islamischer Feminismus und Gender Jihad - neue Wege für Musliminnen in Europa. Stuttgart 2013. S. 241 ff. ISBN 978-3-17-021152-0
    Štimac, Zrinka
 
 

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