Delegation von Privatautonomie auf Dritte
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Zu den Grundlagen unserer Privatrechtsordnung gehört die Privatautonomie als Rechtsmacht des Einzelnen, seine rechtlichen Verhältnisse nach seinem Willen zu gestalten. Nicht immer jedoch gestalten Teilnehmer am Rechtsverkehr ihre Verhältnisse selbst; sie treffen zwar eine rechtliche Regelung, überlassen deren nähere Ausgestaltung aber der bindenden Entscheidung eines außenstehenden Dritten. Sie nutzen damit die besondere Sachkunde oder Neutralität dieses Dritten. Diese Übertragung von Privatautonomie wirft aber auch Fragen auf: In welchem Umfang ist eine Übertragung zulässig? Gibt es Verfahrensregeln, die eine Ausübung im Sinne des Übertragenden sichern? Wie und von wem wird die Drittentscheidung überprüft? Hier setzt das Forschungsvorhaben an, indem es anhand dieser Fragen erstens gemeinsame Grundsätze der Delegation von Privatautonomie entwickelt und so zweitens dogmatisch fundierte und zugleich in der Praxis verwertbare Lösungen für Einzelprobleme anbietet. Methodisch verarbeitet es dazu nicht nur das gegenwärtige deutsche Recht, sondern auch die Lösungen und Wertungen des englischen Rechts und des französischen Rechts, die beide in wichtigen Einzelaspekten vom deutschen Recht abweichen, und berücksichtigt die historische Entwicklung der drei Rechtsordnungen. Die Ergebnisse lassen sich drei Problemkomplexen zuordnen: (i) Das Spannungsverhältnis zwischen einer Delegation und der Selbstbestimmung des Delegierenden wird aufgelöst durch eine Rückkopplung der Entscheidungsbefugnis des Dritten an die Privatautonomie des Übertragenden: Er ist an dessen Spruch gebunden, weil diese Bindung seinem Willen entspricht. Damit lassen sich zugleich Verfahrensanforderungen, etwa an die Neutralität des Dritten, begründen, deren Missachtung zum Entfall der Bindung führt, weil der Übertragende nur an eine nach seinen Regeln entstandene Entscheidung gebunden sein will. Jedoch müssen, abgesehen von der auch unausgesprochen regelmäßig gewollten Neutralität und einer Begründung der Entscheidung, zusätzliche Verfahrensanforderungen ausdrücklich vorgesehen werden. In welchem Umfang die Entscheidung kontrolliert werden kann, legt ebenfalls der Delegierende fest; hier dürfte die Lösung des deutschen Rechts, bei groben Abweichungen von der erwarteten Entscheidung im Zweifel die Bindung zu verneinen, eher dem Parteiwillen entsprechen als die striktere Haltung in England oder Frankreich, wo allenfalls der Dritte für eine fehlerhafte Entscheidung haftet. (ii) Mit der Delegation wird die Aufgabe zur Selbstgestaltung erfüllt, die von den Parteien den Abschluss eines Vertrags mit durchsetzbarem (bestimmbarem) Inhalt fordert und eine gerichtliche Vertragshilfe grundsätzlich ausschließt. Jedoch sollten Gerichte subsidiär für Bestimmtheit sorgen, wenn der Mechanismus der Delegation fehlschlägt (hier ist das BGB unzureichend formuliert) oder wenn die Entscheidung des Dritten aufgrund inhaltlicher Fehler nicht bindet. (iii) Gerade im Erbrecht stößt die Delegation an ihre Grenzen, wenn eine Erklärung wie die Erbeinsetzung höchstpersönlichen Charakter hat. Die verbreiteten Erklärungsansätze für die Annahme einer Höchstpersönlichkeit in diesem Fall überzeugen jedoch nicht. Der Erblasser muss lediglich verhindern, dass nach seinem Tod unklar ist, wer Erbe geworden ist. Diese Ergebnisse betreffen auch den für die Vertragsgestaltung wichtigen Bereich, der als Schiedsgutachten bezeichnet wird. Hier stellt sich die Problematik der Abgrenzung zur Schiedsgerichtsbarkeit als einer weiteren Möglichkeit, außergerichtlich die Entscheidung eines Dritten einzuholen. Im Ergebnis sollten die Delegation von Privatautonomie und die Schiedsgerichtsbarkeit als Alternativen für denselben Aufgabenbereich mit je eigenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen angesehen werden. Indem die Parteien zwischen beiden Instituten wählen können, wird ihre Privatautonomie gestärkt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Leistungsbestimmung, nachträgliche, in: Jürgen Basedow/ Klaus J. Hopt/Reinhard Zimmermann (Hg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Mohr Siebeck: Tübingen 2009, S. 1007-1012 (englische Fassung: Contractual Terms, Subsequent Determination, in: Jürgen Basedow/Klaus J. Hopt/Reinhard Zimmermann (Hg.), The Max Planck Encyclopedia of European Private Law, Oxford University Press: Oxford 2012, S. 396-401
Jens Kleinschmidt