Das Wachstum der sächsischen Landwirtschaft 1750-1880
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Erstmals wird untersucht, wie unterschiedliche Industrialisierungspfade den Verlauf der Agrarentwicklung beeinflusst haben. Sachsen während der Frühindustrialisierung ca. 1790-1830 steht hierbei exemplarisch für ein dem ländlichen Exportgewerbe entwachsenen "low wage-high energy cost path" als Gegensatz zu einem kohlebasierten, schwerindustriellen "high wage-low energy cost path", wie er in Westfalen durch Nachfrageeffekte die extrem dynamische landwirtschaftliche Entwicklung nach 1840 trug. Unsere aus quantitativen und ökonometrischen Studien gewonnenen Ergebnisse stellen allgemein gängige Modernisierungsstereotype in Frage. So gab es in Sachsen keinen linearen Zusammenhang zwischen Industrialisierung und mehr Markt in der Ernährungssicherung bei kontinuierlicher Zurückdrängung der 'vormodernen' Subsistenzwirtschaft. Ganz im Gegenteil, der sächsische Subsistenzsektor erlebte einen langanhaltenden Aufschwung während der Frühindustrialisierung bei konstant hoher Marktintegration. Der expandierende Kartoffelanbau leistete insbesondere in aufstrebenden Industrierevieren einen positiven Beitrag zur Absicherung gegen Risiken in der Ernährungssicherung ca. 1790-1830. Überhaupt lässt sich für Sachsen vor 1850 bis zum Abschluss seiner Industrialisierung keine Agrarrevolution feststellen wohl aber eine lang anhaltende Intensivierung bei eher mäßigen Produktivitätseffekten. Sachsen bildete dabei über die gesamte frühe Neuzeit und Industrialisierung eine der führenden deutschen Agrarregionen. Die sächsische Agrarentwicklung wurde nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bei niedrigen und phasenweise fallenden Realeinkommen vornehmlich durch die expandierende Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln bei stetig starkem, rural-gewerblichen Bevölkerungswachstum getragen. Entgegen der in der Literatur vertretenen Ansicht wirkten sich die Agrarreformen von 1831/32 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht erkennbar im Sinne einer Beschleunigung des Agrarwachstums aus. Vielmehr belegen die Projektergebnisse dass sich in Sachsen der größte Teil seiner sehr langen strukturellen Transformation von einer Agrar- hin zu einer Industriewirtschaft unter den Bedingungen der Grundherrschaft vollzog. Die Agrarreformen haben somit weniger agrarische und wirtschaftliche Modernisierung ermöglicht als vielmehr die Agrarverfassung bzw. den institutionellen Rahmen der Landwirtschaft nachträglich an die neuen ökonomischen und gesellschaftlichen Realitäten angepasst.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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»Agricultural development during early industrialization in a low-wage economy: Saxony, c. 1790–1830«, EHES Working Papers in Economic History, 39. 2013.
Michael Kopsidis / Ulrich Pfister
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»King’s law and food storage in Saxony, c. 1790–1830«, CQE Working Papers WP 26/2013
Martin Uebele / Tim Grünebaum / Michael Kopsidis
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Food security, harvest shocks, and the potato as secondary crop in Saxony, 1792-1811. In: Kollmer-von Oheimb-Loup, G., Lehmann, S., Streb, J., Chancen und Risiken internationaler Integration: Mikro- und makroökonomische Folgen der Internationalisierung Ostfildern, 2014, pp. 31–59.
Martin Uebele, Tim Grünebaum
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Institutions versus demand: determinants of agricultural development in Saxony, 1660–1850. European Review of Economic History, Vol. 19. 2015, Issue 3, pp. 275–293.
Pfister, U., Kopsidis, M.
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Strukturelle Transformation hin zum ‚Industriestaat‘ unter den Be-dingungen der Grundherrschaft: die Entwicklung der sächsischen Landwirtschaft vom späten 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Sächsisches Staatsarchiv (Hrsg.): Wissen – Wolle – Wandel. Me-rinozucht und Agrarinnovation in Sachsen im 18. und 19. Jh., Halle: Mitteldeutscher Verlag, 2016, S. 11-41.
Pfister, U., Kopsidis, M.