Untersuchungen zu toxischen Effekten von Anästhetika auf die Hirnentwicklung - Identifikation schonender Anästhesieverfahren
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Bei kleinen Frühgeborenen, kranken Neugeborenen und jungen Säuglingen steht die Notwendigkeit einer adäquaten Anästhesie bei operativen Eingriffen und im Rahmen intensivmedizinischer Maßnahmen klinisch außer Frage. Grundlage des vorliegenden Projektes war die Tatsache, dass experimentelle Daten darauf hindeuteten, dass es während der Phase der Hirnentwicklung möglicherweise zu gravierenden Nebenwirkungen auf das ZNS durch die Anwendung NMDA Antagonisten oder GABAA Agonisten kommen könnte. Propofol und Sevofluran gelten als häufig angewendete Anästhetika in der pädiatrischen Anästhesie und wurden in diesem Projekt untersucht. Im ersten Teilprojekt wurden neugeborene Wistar Ratten mit repetitiven Injektionen von Propofol über 4,5 h oder Sevofluran Inhalation behandelt. Die Gehirne der Propofol behandelten Tiere zeigten signifikant höhere Neurodegenerationsraten in einem, aus 10 Hirnregionen kalkulierten Summenscore als die Kontrollen und auch als die mit Sevofluran Inhalationen behandelte Tiere. Es zeigte sich zudem eine deutliche Altersabhängigkeit, bei 21 Tage alten Tieren wurde bei Propofol-injizierten Tieren keine signifikante Neurodegeneration mehr beobachtet. Funktionelle neurologische Untersuchungen mittels “Morris Water Maze “ Test und dem “hole board“ Test zeigten bei 7 Wochen alten Tieren deutliche neurologische Einschränkungen bei den mit Propofol behandelten Tieren. Sevofluran Inhalationen hatten weder auf die apoptotischen Summenscores als Maß für eine Neurodegeneration noch in den funktionellen Testungen signifikante Auffälligkeiten bei den 7 Wochen alten Versuchstieren. In einem zur Veröffentlichung eingereichten Projekt zur Propofolwirkung wurden als mögliche Mechanismen der Neurodegeneration eine Aktivierung von Caspase-3 und eine Herunterregulation von Neurotrophinen verbunden mit einer Reduktion neurotrophin-abhängiger Signalwege (mitogenaktivierte Proteinkinasen ERK1/2 und AKT) besonders im Thalamus und im Kortex beobachtet. Während die mit Propofol behandelten Tiere im Alter von 30 Tagen deutliche Zeichen der Hyperaktivität zeigten, konnte diese im Alter von 120 Tagen nicht mehr nachgewiesen werden. Da sich die Gabe von Anästhetika oft nicht vermeiden lässt wurde in einer weiteren Studie das neuroprotektive Potential von Erythropoietin evaluiert. In der Auswertung der apoptotischen Summenscores zeigte sich, dass niedrige Dosen von Erythropoietin im Gegensatz zu hohen Dosen sich als neuroprotektiv erweisen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studien tragen dazu bei die Wirkung und Pathophysiologie zweier im Kindesalter gängiger Anästhetika (Propofol, Sevofluran) auf das unreife Gehirn besser zu verstehen. Als “Überraschung“ galt für uns die Tatsache, dass Propofol in den von uns durchgeführten funktionellen neurologischen Tests zwar im kurzen Beobachtungszeitraum bei den Versuchstieren im Vergleich zu den Kontrolltieren Auffälligkeiten im Bereich der motorischen Aktivität und des Lernverhaltens zeigte, diese jedoch in der Langzeitbeobachtung im Alter von 120 Tagen nicht mehr nachweisbar waren. Dies spricht einerseits sicher für eine geringere langfristige Toxizität der Substanz, als bisher erwartet und andererseits aber für die ausgeprägte Regenerationsfähigkeit des sich entwickelnden Gehirns.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Untersuchung auf neurodegenerative Effekte von Sevofluran und Propofol am Gehirn neugeborener Ratten.
8. Hauptstadtkongress für Anästhesiologie und Intensivtherapie (HAI), Berlin, Deutschland, 2006
Weise M, Dreykluft C, Bercker S, Bittigau P, Kerner T
- Memory impairments in adolescent rats after neonatal anaesthesia.
5th World Congress on Pediatric Critical Care, Genf, Schweiz, 2008
Kammerl A, Bert B, Bercker S, Bittigau P, Dreykluft C, Weise M, Fink H, Kerner T
- Untersuchung auf cerebrale neurodegenerative Effekte von Sevofluran an neugeborenen Ratten.
Deutscher Anästhesiekongress (DAC), Leipzig, Deutschland, 2008
Dreykluft C, Bercker S, Weise M, Bittigau P, Ikonomidou H, Felderhoff-Müser U, Kaisers U, Kerner T
- High-dose propofol triggers short-term neuroprotection and long-term neurodegeneration in primary neuronal cultures from rat embryos. J Int Med Res 2009; 37:680-688
Berns M, Seeberg L, Schmidt M, Kerner T
- Neurodegeneration in newborn rats following propofol and sevoflurane anesthesia. Neurotox Res 2009; 16:140-147
Bercker S, Bert B, Bittigau P, Felderhoff-Müser U, Bührer C, Ikonomidou C, Weise M, Kaisers UX, Kerner T
- Dose-dependent effects of erythropoietin in propofol anesthetized neonatal rats. Brain Res 2010; 1343:14-19
Zacharias R, Schmidt M, Kny J, Sifringer M, Bercker S, Bittigau P, Bührer C, Felderhoff-Müser U, Kerner T
- The apoptotic effect of propofol in immature rat brain and possible neuroprotection by Erythropoietin. European Academy of Pediatrics (EAPS) Kopenhagen, Dänemark, 2010, publiziert in Pediatric Research 2010
Pantazis C, Bendix I, Herrmann R, Karen T, Schlager G, Keller M, Felderhoff-Mueser U
- Impact of experimental neonatal Propofol anaesthesia on neurodevelopmental short- and long-term outcome. European Society of Pediatric Research, Newcastle, GB, 2011, Pediatric Research
Schlager G, Karen T, Bendix I, Sifringer M, Herrmann R, Pantazis C, Prager C, Keller M, Felderhoff-Müser U