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Gesellschaftswandel und "Management of Change". Die ökonomisch-sozialen Strukturbrüche der 1970er Jahre und die deutsche Automobilindustrie

Fachliche Zuordnung Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Förderung Förderung von 2008 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 70755861
 
Erstellungsjahr 2010

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die deutsche Automobilindustrie sah sich nach dem Ende des Wirtschaftswunders vor zahlreiche Herausforderungen gestellt. In den langen 1970er Jahren verlor der Automobilmarkt verlor nicht allein durch Konjunkturkrisen und zunehmende Sättigungserscheinungen an Stabilität. Auch vor dem Hintergrund soziokultureller Wandlungsprozesse veränderten sich die Rahmenbedingungen für das Automobilgeschäft. Der Trend zur Pluralisierung von Lebens‐ und Konsumzielen sowie die Kritik an den negativen Begleiterscheinungen der Massenmotorisierung sorgten für eine veränderte symbolische Bedeutung des Automobils. Die Absatzkrisen 1966/67, 1973/74 und 1979/80 wurden durch eine Leitbild‐ und Imagekrise des Produktes überlagert. Dies zwang die Produzenten, ihre Angebots‐ und Kommunikationspolitik an die neuen Markt‐ und Umfeldanforderungen anzupassen. Indem das Projekt erstmals eine Sozial‐ und Konsumgeschichte des Automobils mit einer unternehmenshistorischen Analyse des Krisenmanagements der Hersteller kombinierte, gelangte es zu neuen Erkenntnissen. Bis zum Ende der 1960er Jahre dominierte der sog. "aufsteigende Konsum" das Kaufverhalten. Um das Auto als sozialen Leistungsausweis zu nutzen, tendierten die Konsumenten zu immer größeren und schnelleren Fahrzeugen. Die Autokritik und die Energiepreiskrise sorgten dafür, dass dieser Trend kurzfristig aussetzte. Nach der Krise von 1973/74 setzte die Automobilisierung formverändert wieder ein. Die Aufstiegssymbolik blieb erhalten, wurde aber durch ein Set neuer Produktanforderungen der Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit ergänzt. Die Konsumenten entschieden individuell, wie das Verhältnis zwischen Gebrauchs‐ und Zusatznutzen eines Automodells gestaltet sein sollte, um ihren Wertvorstellungen zu entsprechen. Ihr Kaufverhalten löste sich somit aus sozialen Kategorien der Konsumfähigkeit und strukturierte sich neu in Lebensstil‐ und Einstellungsmilieus – ein idealtypisches Phänomen fortgeschrittener Konsumgesellschaften. Auf Seiten der Automobilindustrie sorgten die sich wandelnden Markt‐ und Umfeldveränderungen für einen Übergang von produktions‐ zu konsumentenorientierten Managementmodellen. Anhand der betrieblichen Marktforschungspraktiken zeichnete das Projekt erstmals nach, wie sich u.a. durch die schrittweise Ablösung rein mengenmäßiger Absatzanalysen durch marktpsychologische Kaufmotivstudien das Konsumentenbild der Unternehmen wandelte. Neuartige Imagestrategien, welche die subjektiven Erwartungen der Käufer und öffentlichen Anspruchsgruppen an Produkte und Marken als erfolgsentscheidend einstuften, setzten nicht mehr auf eine einseitige Manipulation, sondern auf eine wechselseitige Kommunikation zwischen den Marktakteuren. Parallel setzte sich in den Unternehmen das Mar‐ keting als Maxime und ganzheitliches Steuerungsinstrument für alle Funktionsbereiche der Angebotserstellung und ‐vermarktung durch. Mit Hilfe der flexiblen Baukastenfertigung gingen die Hersteller zu fein differenzierten Vollsortimenten über, um unter verschärften Wett‐ bewerbsbedingungen Autos 'für jeden Geschmack' anzubieten. Die Werbe‐ und PR‐Arbeit suchte mit neuen Stilen und Inhalten einen Spagat zwischen der neuen Sachlichkeit und den differenzierten Selbstverwirklichungswünschen der Konsumenten zu finden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Marketingmanagement als Strukturmodell. Der organisatorische Wandel in der deutschen Automobilindustrie der 1960er bis 80er Jahre, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 53 (2008), Heft 2, S. 216‐239
    Ingo Köhler
  • Hagley Museum and Library und das Deutsche Historische Institut Washington, Hagley Center Fall Conference "Understanding Markets: Information, Institutions and History", Wilmington/Delaware; "Recognizing Car Market Realities. Marketing, PR and Market Research of the German Automobile Industry in the 1970s" am 31. Oktober 2009
    Ingo Köhler
  • Joint Meeting of the Business History Conference and the European Business History As‐ sociation zum Thema "Fashions: Business Practices in Historical Perspective, Mailand am 13.6.2009; "Car Design under a Marketing Paradigm. The German Automobile In‐ dustry and the Challenges of the Oil Price Crisis in the 1970s"
    Ingo Köhler
  • "Small Car Blues". Die Produktpolitik US‐amerikanischer und deutscher Au‐ tomobilhersteller unter dem Einfluss umweltpolitischer Vorgaben, 1960‐1980, in: Jahr‐ buch für Wirtschaftsgeschichte/Economic History Yearbook 2010/1, S. 107–135
    Ingo Köhler
  • 48. Deutscher Historikertag in Berlin; Sektion: "Abschied von der Industrie? Die Bundesre‐ publik im wirtschaftlichen Strukturwandel der 1970er Jahre. Branchenstudien und internationale Vergleichsaspekte" (André Steiner/Ralf Ahrens); "Nicht nur ein Wettersturz. Automobilindustrie, Ölpreisschock und der Wandel der Nachfragestrukturen in den 1970er Jahre" am 30. September 2010
    Ingo Köhler
  • Overcoming Stagnation. Product Policy and Marketing in the German Auto‐ mobile Industry of the 1970s, in: Business History Review 84 (2010), S. 53‐78
    Ingo Köhler
  • Tagung "Automobilwirtschaft im 20. Jahrhundert: Kontinuität, Krise, Wandel", Stephanie Tilly/Dieter Ziegler (Ruhr‐Universität Bochum) in Kooperation mit BMW Classic, München, 4.‐5. Oktober 2010; "Krisenszenario Käufermarkt? Konsumwandel im Diskurs der deutschen Automobilindustrie in den 1960er und 1970er Jahren" am 5. Oktober 2010
    Ingo Köhler
  • Wirtschaftshistorischer Ausschuss des Vereins für Socialpolitik, Münster 3.‐5. März 2010; "Produktpolitik und Nachfragewandel. Die Absatzstrategien der Pkw‐ Hersteller auf dem westdeutschen Automobilmarkt der 1970er Jahre" am 3. März 2010
    Ingo Köhler
 
 

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