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Neues Bauen in der Fremde: Wege, Wandel und Wirken der Weimarer Architekturmoderne unter den Bedingungen des Exils

Fachliche Zuordnung Kunstgeschichte
Förderung Förderung von 2008 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 77617128
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt rekapitulierte auf der Basis nationaler und internationaler Archivrecherchen am Beispiel der gebrochenen Lebens- und Werkgeschichten von 24 exilierten Architekten die facettenreichen Transformationen der Weimarer Architekturmoderne unter den Bedingungen von Flucht und Emigration. In seinen Einzelstudien wie in der vergleichenden Zusammenführung der disparaten Ergebnisse eröffnete es erstmals einen von netzwerktheoretischen Perspektiven angeleiteten systematischen Überblick zur exilierten Wirkungsgeschichte des Neuen Bauens jenseits herkömmlicher Einzelmonographien und Länderstudien. Neben dem Kernzeitraum von 1933 bis 1945 wurden genauso relevante Weimarer Vorgeschichten wie über das Kriegsende hinausweisende Ereignisse in den Blick genommen. Entsprechend führten die verzweigten Wege der emigrierten deutschen Moderne in so verschiedene geographische Räume wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kenia, Mexiko, Niederlande, Österreich, Palästina/Israel, Schanghai, Schweden, Schweiz, Südafrika, Tansania, Türkei, UdSSR, Uganda, Ungarn und die USA. Dort vollzog sich die Transformation des ehemals in vielerlei Hinsicht gleichgerichteten Weimarer Diskurses der Architekturmoderne zu einem ebenso weltweit verstreuten und inhaltlich zersplitterten Mosaik individuellen Schaffens und Scheiterns. Dabei erwies sich der erfolgreiche Transfer des Neuen Bauens und seiner Ideen eher als Ausnahme von der Regelhaftigkeit der aus Emigrationserfahrungen und professionellem Assimilationsdruck resultierenden personellen und konzeptionellen Diskontinuitäten. Die exilierten Architektenindividuen platzierten sich in fortschreitend veränderten Beziehungsdispositiven und Diskurstypen, die es keineswegs erlauben, von einer geschlossenen Gesamtnetzwerkstruktur Neues Bauen im Exil zu sprechen. Vielmehr wirkten in der Emigration weitgehend nur solche persönlichen Verbindungen und engen Subnetzwerke fort, die bereits vor 1933 etabliert wurden (etwa Walter Gropius und Marcel Breuer oder Mies van der Rohe und Ludwig Hilberseimer in den USA). Meist stellte sich das Architektenexil als einsames Agieren in der Isolation der Fremde dar; selbst dann, wenn ehemalige Kollegen in unmittelbarer räumlicher Nähe waren (Erich Mendelsohn, Adolf Rading und Siegfried Weitzmann in Palästina oder Max Cetto und Hannes Meyer in Mexiko). Für viele fungierten die gemeinsamen Errungenschaften der Vergangenheit kaum mehr als ein verklärtes Sentiment. Das alte Netzwerk besaß nur bedingt Kohäsionskraft für die Herausforderungen in der Fremde. Die neue Situation erforderte nicht selten die Revision der eigenen Positionen. Besonders sichtbar wird diese Dynamik in den theoretisch-publizistischen Aktivitäten der Emigranten (etwa Walter Curt Behrendt, Erwin Anton Gutkind, Ludwig Hilberseimer oder Arthur Korn). In der Summe zeigte sich eine Vielzahl neuer lokaler Interaktionen und regionaler Institutionalisierungsbemühungen, die inhaltlich und personell deutlich über das alte Weimarer Netzwerk hinauswiesen. Entsprechend wenig gleichgerichtet stellte sich der Anteil des exilierten Neuen Bauens an der Globalisierung der Architekturmoderne dar. In diskursiver Hinsicht ließ sich dieser Einfluss am ehesten in der Rezeption von Mies, Gropius oder Breuer als paradigmatische Beispiele für die erfolgreiche transatlantische Übertragung des modernen Architekturidioms wie in den theoretischen Beiträgen Gutkinds, Behrendts oder Hilberseimers rekapitulieren. Weitaus unmittelbareren Anteil an der weltweiten materiellen Manifestierung des modernen Bauens und der Herausbildung eines globalen Architekturund Planungssystems hatten aber aufgrund ihrer Einbindung in koloniale oder neokoloniale Planungsprozesse Architekten wie Erich Mendelsohn, Adolf Rading und Ernst May oder der späte Walter Gropius mit seinem Planungskollektiv TAC. Erst nach 1945 ließen sich im Kontext vom Wiederaufbau- und Remigrationsdebatten gezielte Bemühungen zur Wiederbelebung abgebrochener Beziehungen (durchaus auch zu nicht emigrierten ehemaligen Mitstreitern wie Hans Scharoun, Richard Döcker oder Hugo Häring) nachweisen. Der signifikanteste Ausdruck dieser Phase ist zweifelsohne der im Jahre 1954/55 gestartete Versuch zur Wiederbelebung der Architektenvereinigung Der Ring. Die erfolgreiche Rückkehr nach und die professionelle Reintegration in Deutschland gelang jedoch nur in Ausnahmefällen (etwa Ernst May und Ferdinand Kramer in der Bundesrepublik sowie Richard Paulick in der DDR).

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • "Von Ringern und anderen Beziehungsgeflechten des Neuen Bauens. Perspektiven einer netzwerktheoretisch generierten Analyse der Weimarer Architekturmoderne." Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik 12 (2008): 225-258
    Göckede, Regina
  • "Das Bauhaus nach 1933: Migrationen und semantische Verschiebungen." Mythos Bauhaus: Zwischen Selbsterfindung und Enthistorisierung. Hg. Anja Baumhoff und Magdalena Droste. Berlin: Reimer, 2009. 276-291
    Göckede, R.
  • "Der Architekt als kolonialer Technokrat dependenter Modernisierung – Ernst Mays Planung für Kampala." Afropolis. Stadt, Medien, Kunst. Hg. Kerstin Pinther, Larissa Förster & Christian Hanussek. Köln: Walther König, 2010. 12-21
    Göckede, R.
  • "Das Geschlecht des Neuen Bauens - Genderrollen und geschlechtliche Kodifizierungen im Diskurs des CIAM II." Neues Wohnen 1929/2009: Frankfurt und der 2. Congrès International d'Architecture Moderne. Hg. Deutscher Werkbund Hessen e.V. Berlin: Jovis, 2011. 39-53
    Göckede, R.; Grawe, G.D.
  • "Neues Bauen in der Fremde: Chancen und Grenzen einer netzwerktheoretischen Erforschung des Weimarer Architektenexils." Netzwerke des Exils. Künstlerische Verflechtungen, interdisziplinärer Austausch und Patronage nach 1933. Hg. Burcu Dogramaci und Karin Wimmer. Berlin: Gebr. Mann, 2011. 91-108
    Göckede, R.; Grawe, G.D.
  • "The Architect as a Colonial Technocrat of Dependent Modernisation – Ernst May’s Plans for Kampala." Übers. Kate Sturge. Afropolis: City, Media, Art. Hg. Kerstin Pinther et al. Johannesburg: Jacama Media, 2012. 54-65
    Göckede, R.
  • tkoloniale Moderne: Le Corbusier, Ernst May, Frank Lloyd Wright, The Architects Collaborative und die Globalisierung der Architekturmoderne. Habil. phil. BTU Cottbus – Senftenberg & Universität Potsdam, 2014. Basel, Birkhäuser, 2016. - 9783038211235. Gesamt 498 S.
    Göckede, R.
 
 

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