Computational Steering für die industrielle Abbruchsprengung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Innerhalb des Transferteilprojektes konnten die bereits in der DFG-Forschergruppe FOR500 erarbeiteten Forschungsresultate weitergeführt und weiter zugeschärft werden. Dies betrifft einerseits die wissenschaftlichen Grundlagen zur computergestützten Kollapssimulation für die kontrollierte Sprengung komplexer Tragwerke aus Stahlbeton, andererseits die informatische Weiterentwicklung des zur Simulation verwendenden Softwaresystems hin zu mehr „Gebrauchstauglichkeit“. Hierbei wurden vor allem die Anforderungen aus der Sprengpraxis berücksichtigt, wo Softwaresysteme nachgefragt werden, mit denen – im Sinne eines modernen „Computational Steering“ – schon während der Projektierung von Bauwerkssprengungen, die Auswirkungen einer geplanten Sprengung (Sprengstrategie) erkennbar werden und die folglich direkte Eingriffe zwecks Änderung einer Sprengstrategie erlauben. In diesem Zusammenhang wurden wichtige Erweiterungen sowie effizienzsteigernde Verbesserungen in das bisherige Softwaresystem eingearbeitet, um so auch die in der Praxis vorkommenden, hochkomplexen Bauwerkssprengungen besser als bisher bewältigen zu können. Die Simulation des Kollapsverhaltens der Gesamttragwerkstruktur infolge kontrollierter Sprengungen wurde mit sog. speziellen Mehrkörpersystemen (speziellen MKS) durchgeführt, die eine auf die Sprengsimulation zugeschnittene Modellierung des einstürzenden Tragwerks ermöglichen. Während des Bauwerkkollapses im Stahlbetontragwerk eintretende Versagens- und Bruchvorgänge lassen sich dabei wirklichkeitsnah durch spezielle MKS-Submodelle abbilden. Wesentliche Bestandteile dieser MKS-Submodelle sind spezielle Federelemente, deren nichtlineare Kraft-Verformungscharakteristiken (in Abänderung des bisher verwendeten Begriffes „Widerstandskennlinien“ als „Stahlbeton- Kraftelementkennlinien“ bezeichnet) das typische Kollapsverhalten von Stahlbeton approximieren. Dazu wurden vorhandene Ansätze aus der Forschergruppe FOR500 aufgegriffen und im Hinblick auf die Anforderungen der Praxis umgestellt. Die Basis für die Berechnung dieser Kennlinien sind dabei sinnvolle „numerische Experimente“ an Stahlbetonkonstruktionsdetails (Rahmenknoten), da „echte Versuche“ in der Experimentierhalle nicht Bestandteil des Forschungsprogramms waren. Die Korrektheit und Effizienz der weiterentwickelten speziellen MKS-Modellierung konnte im Verlauf des Transferprojektes anhand verschiedener Referenzmodelle nachgewiesen werden, durch Verifikation mit validierten Finite-Elemente-Analysen aus dem TFT2. Das verwendete Mehrkörpermodell bietet – bei entsprechendem Aufbau – eine mit dem FE-Modell vergleichbare Genauigkeit, allerdings bei enorm reduzierter Rechenzeit! Damit konnte eine wesentliche Zielsetzung der Transferforschung erreicht werden: Eine hinreichend genaue und weitgehend effiziente Simulation von Kollapsvorgängen (insbesondere auch großer Tragwerke) durch MKS-Modellierung zu gewährleisten. Die MKS-Simulation erweist sich insbesondere als die gesuchte Basis zur erfolgreichen Durchführung der Unschärfebehandlung bzw. der Optimierung von Sprengstrategien, die Schwerpunktthemen im TFT4 bzw. im TFT5 waren. Beide Aufgabenstellungen (Unschärfebehandlung bzw. Optimierung) sind bei großen Modellen mit FE-Methoden aufgrund der dort benötigten, extrem hohen Rechenzeiten nicht praktikabel. Die im TFT5 entstandene Simulationsplattform wurde als „Komponenten-Softwaresystem“ und als skalierbares, verteiltes sowie Eclipse-basiertes Framework implementiert, das die Bezeichnung „CADCE“-Plattform (Computer Aided Demolition using Controlled Explosives) erhalten hat; diese besitzt eine fachspezifisch ausgerichtete Benutzungsoberfläche (GUI) für das Pre- und Postprocessing, insbesondere für die interaktive Steuerung von Kollapssimulationen und deren Optimierung. Über die sog. „CADCE Workbench“ wurde dabei auch eine Remote-Nutzung des Softwaresystems realisiert, über die Praxispartner des Transferprojekts die CADCE-Plattform bei sich einsetzen können und per Internet auf die Kernkomponenten der Kollapssimulation zugreifen können, die ihrerseits auf dem „CADCE Application Server“ in Bochum implementiertet sind. Der zukünftige Einsatz des entwickelten Softwaresystems, mögliche Erweiterungen und Anwendungen wurden im Rahmen eines im Herbst 2010 durchgeführten Workshops intensiv mit Vertretern namhafter Sprengunternehmen sowie Fachkundigen aus Forschungseinrichtungen und Behörden diskutiert. Es wurde einvernehmlich festgestellt, dass für das entwickelte „CADCE“ zum einen beträchtliches Anwendungs- und Verwertungspotenzial bei Sprengunternehmen und den mit Projektierung von Bauwerkssprengungen befassten Ingenieurbüros besteht, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, zum anderen viele Einsatzmöglichkeiten in der Ausbildung und beim Trainieren von Sprengfachleuten gesehen werden. Die im TP5/TFT5 erforschten Verbesserungen erlauben zwar – verglichen mit dem Forschungsstand vor einigen Jahren – wesentlich effizientere Kollapssimulationen als bislang, dennoch gibt es immer noch Raum für weitere Forschungsarbeiten, die sowohl die Zuverlässigkeit als auch die Wirtschaftlichkeit kontrollierter Bauwerkssprengungen erhöhen würden. Alle bisherigen Untersuchungen, Anwendungsbeispiele und Fallstudien beispielsweise zeigen, dass die Zuverlässigkeit und die Wirtschaftlichkeit in großem Maße von der korrekten Bemessung (Sprengbemessung) der Anzahl und Art der Sprengzonen sowie der Sprengladungen, einschließlich ihrer Zündzeitpunkte, abhängen. Auch die präzise Abbildung der lokalen Effekte über entsprechende Komponenten des speziellen Mehrkörpersystems eröffnet weiteren Forschungsbedarf, der nur in Zusammenarbeit mit angepasster Finite-Elemente- Forschung bewältigt werden kann. Ähnlich verhält es sich mit der wirklichkeitsnahen dreidimensionalen Formulierung der oben erwähnten Stahlbeton-Kraftelementkennlinien (ehemals Widerstandkennlinien), mit denen das Bruch- und Verformungsverhalten der Stahlbetonkonstruktion im Simulationsmodell erfasst werden. Auch wenn mit den im TFT5 – über „numerische Experimente“ – gewonnenen Kennlinien zufriedenstellende Simulationserfolge erzielt werden konnten, bezüglich der tatsächlichen Interaktionswirkungen der räumlichen Kraftgrößen untereinander fehlt die numerische Verifizierung mittels hochgenauer dynamischer Finite-Elemente-Analysen, aber ebenso die experimentelle Validierung der numerischen Modelle. Auf softwaretechnischer Seite könnten die „Computational-Steering-Fähigkeiten“ des CADCE weiter ausgebaut werden. Der augenblickliche Entwicklungsstand erlaubt zwar erste Möglichkeiten eines Computational Steering, um aber den vollen unmittelbaren Eingriff in die Kollapssimulation mit sofort sichtbarer Reaktion der Software auf Eingriffe zu realisieren, bedarf es weitergehender Maßnahmen. Hierzu gehören beispielsweise das Setzen sog. Breakpoints, über die eine Simulation gezielt gestoppt und – fehlerfrei – synchronisiert wieder aufgesetzt werden kann. Ebenso muss für die umfassende Parallelisierung rechenintensiver Berechnungen gesorgt werden, wenn man die Reaktionszeiten der Simulationen auf das bei interaktiver Arbeitsweise übliche Maß (1-3 sec.) bringen will. Verbesserungen würden in beiden Fällen auch die immer bedeutsamer werdende Unschärfebehandlung und die Auffindung optimaler Sprengstrategien befördern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2009): On a fundamental Concept of Structural Collapse Simulation taking into Account Uncertainty Phenomena. Damage Assessment and Reconstruction after War or Natural Disaster, Editors: Adnan Ibrahimbegovic and Muhamed Ziatar, 169-191, Springer 2009
Hartmann, D., Breidt, M., Nguyen, V.V., Stangenberg, F., Höhler, S., Schweizerhof, K.,Mattern, S., Blankenhorn, G.,Möller, B. and Liebscher, M.
- Collapse Simulations of Large Scale Complex Structures due to Controlled Explosive, Proceedings 7th EUROMECH Solid Mechanics Conference (ESMC2009), Lisbon 7.-11. September 2009
Sikiwat, T., Breidt, M. and Hartmann, D.
- Computational Steering for Collapse Simulation of Large Scale Complex Structures, Proceedings 18th International Conference on the Applications of Computer Science and Mathematics in Architecture and Civil Engineering (IKM), Weimar, 7.-9. July 2009
Sikiwat, T., Breidt, M. and Hartmann, D.
- Computersimulation für Bauwerkssprengungenein Einblick in laufende Arbeiten, Sprenginfo, Fachzeitschrift des Deutschen Sprengverbandes e.V., 32, Nr. 01, 27-35, 2010
Hartmann, D., Breidt, M., Sikiwat, T., Michaloudis, G., Schweizerhof, K., Möller, B., Graf, W., Piotrow, A.
- Efficient Simulation of Structural Failure of Large Scale Complex Structures by using Multibody Dynamics, Proceedings of the Tenth International Conference on Engineering Computational Technology, Valencia, 2010
Sikiwat, T., Breidt, M. and Hartmann, D.