Religiöse Vorstellungswelten des christlichen Abendlandes im frühen und hohen Mittelalter
Final Report Abstract
Ziel des Projektes war es, im Rahmen der religiösen Vorstellungswelten des frühen und hohen Mittelalters das von geschichtswissenschaftlicher Seite bisher weithin vernachlässigte Gottesbild herauszuarbeiten. In vorstellungsgeschichtlicher Perspektive ergeben sich hier breit gefächerte Vorstellungen, in denen sich neoplatonische Lehren vom transzendenten, absoluten Sein mit biblischen Glaubenslehren von Gott als dem Schöpfer, Lenker und Richter der Welt verknüpfen. Behandelt werden (in einzelnen Kapiteln): die Quellen der Gotteserkenntnis, die Vorstellungen vom göttlichen Wirken einerseits und vom göttlichen Wesen andererseits, das Trinitätsproblem in seiner zeitlichen Entwicklung, die rationalen Gottesbeweise, die Christologie, die Vorstellungen vom Heiligen Geist und die bildlichen Gottesdarstellungen. Ein abschließendes Kapitel fragt in Auseinandersetzung mit gängigen Thesen nach dem Gottesbild als Ausdruck einer spezifisch mittelalteriichen Mentalität. Auch wenn die mittelalterlichen Autoren kaum geschlossene Traktate über Gott hinterlassen haben, erweist die ständige Präsenz des Themas dessen zentrale Bedeutung in der religiösen Vorstellungswelt. Theologisch diskutiert wurden vor allem strittige oder angreifbare Lehren, zu denen - neben dem grundsätzlichen (und bewussten) Problem der Unbeschreiblichkeit Gottes nach menschlichen Vorstellungen - nicht zuletzt die spezifisch christlichen Elemente zählen, nämlich die Trinitätslehre (die durchaus problematische Rechtfertigung eines einzigen Gottes in drei Personen) sowie die beiden Naturen Christi. Hier stießen die Vorstellungen immer wieder an dogmatische Grenzen. Der Heilige Geist war in diesem Konzept weit mehr präsent, als von der bisherigen Forschung angenommen. Weniger strittig und zentral für das Gottesbild waren die (philosophischen) Vorstellungen vom göttlichen Wesen und die (biblisch-heilsgeschichttichen) Überzeugungen vom göttlichen Wirken, die jeweils in Einklang gebracht wurden und zugleich als Beweis der Existenz Gottes dienten. Insgesamt gibt es eine Fülle (eher individueller als an „Schulen" oder Institutionen gebundener) Versuche, Gott zu „erfassen", die dennoch durch eine erstaunliche inhaltliche Kohärenz und Stabilität gekennzeichnet sind und auch im 12. Jahrhundert, als eine methodische Vertiefung, eine rationate(re) Durchdringung und eine Systematisierung der Vorstellungen einsetzten, gleichsam als Beweisziel, weiterwirkten. Auch gängige Forschungsthesen einer Entwicklung vom strafenden zum „lieben" Gott, vom Kriegergott zur mystischen Verinnerlichung oder vom herrschenden zum leidenden Christus sind vor dem Hintergrund der hier erzielten Ergebnisse erheblich zu modifizieren. Dem frühen Mittelalter aber kommt für die Entwicklung, Verbreitung und Verarbeitung der biblisch-patristischen Gottesvorstellungen insgesamt eine weit größere Bedeutung zu, als das die bisherige Forschung widerspiegelt. Der (bereits weit vorbereitete) zweite Halbband soll binnen eines Jahres folgen und wird die materielle (Kosmos, Himmel, Erde) und personelle (Engel, Teufel, Menschen) Schöpfung in ihrer Relation zum Gottesbild behandeln.