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Transformationen zwischen Renaissance und Aufklärung. Die Philosophie der Sozinianer

Fachliche Zuordnung Geschichte der Philosophie
Förderung Förderung von 2008 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 84170122
 
Unter den philosophisch-theologischen Strömungen der Frühen Neuzeit, die den epochentypischen Modernisierungsschüben maßgebliche Impulse gaben, ist der Sozinianismus des 17. Jahrhunderts eine in seiner Bedeutung grundsätzlich anerkannte, aber in vielfacher Hinsicht unzureichend bekannte Größe. Obgleich prominente Beispiele wie etwa Leibniz' kritische Auseinandersetzung mit dem Sozinianismus und Lockes sozinianischer Hintergrund gelegentlich Beachtung gefunden haben, müssen gleichwohl Untersuchungen zu dieser europäischen Bewegung, ihrer Vorgeschichte und ihrer Wirkung insbesondere in der Aufklärung nach wie vor als ein Forschungsdesiderat gelten. Dringlich ist dieses Desiderat insbesondere aus philosophiehistorischer Perspektive, da ein Großteil auch der jüngeren Publikationen zum Sozinianismus vorrangig seine dogmenkritischen Vorstöße und somit seine theologiegeschichtliche Rolle in der Frühen Neuzeit in den Blick nimmt. Mag diese Dogmenkritik auch das auffälligste Merkmal des Sozinianismus sein, so erschöpft er sich keinesfalls darin. Das vorliegende Projekt setzt hier insofern einen Neuanfang, als es die bisher unterschätzte Bedeutung dieser Bewegung auch für die Entwicklung der frühneuzeitlichen Philosophie aufzeigen möchte. Dies soll anhand einer historisch-systematischen Rekonstruktion der Philosophie der Sozinianer geschehen.Methodisch erfordert dies einen epochenüberschreitenden Ansatz, der den Sozinianismus mit dem heterodoxen italienischen Renaissance-Aristotelismus und der radikalen Frühaufklärung verbindet. Dieser Blick zurück und nach vorn soll die Tendenz der Forschung zur Abkapselung der Epochen voneinander überwinden. Inhaltlich besteht das Band zwischen diesen drei Bewegungen im Kampf um die Freiheit der Philosophie bzw. Vernunft von der Theologie (libertas philosophandi), der den Prozess der Säkularisierung mit der Trennung von Staat (Recht, Politik, Wissenschaften) und Religion mitermöglicht hat. Der spezifische Beitrag der Sozinianer wird dabei als ein Akt der Befreiung der Vernunft von der Macht der Erbsünde sichtbar, in dessen Folge sie die Vernunft zur absoluten Norm von Philosophie und Theologie erklären. Damit gewinnt die Vernunft ihre Stärke lange vor dem Auftreten der Aufklärung nicht gegen die Theologie, sondern aus ihr heraus. Hinzu kommt noch ein zweiter inhaltlicher Faktor, der den Sozinianismus als Mittler zwischen dem Renaissance-Aristotelismus und der radikalen Frühaufklärung erweist: sein starker philosophischer Materialismus. Die Forschung führt den Ursprung dieses Materialismus im 17. Jh. im allgemeinen auf Philosophen wie Gassendi, Spinoza und Hobbes zurück. Dabei gerät jedoch außer Blick, dass der Materialismus eine wesentliche Wurzel auch im Aristotelismus besitzt, der sich seit Alexander von Aphrodisias immer wieder - insbesondere in den Diskussionen um die Unsterblichkeit der menschlichen Seele - kenntlich gemacht hat. Dieser aristotelisch geprägte Materialismus wurde nun über den heterodoxen Renaissance-Aristotelismus und die Altdorfer Philosophie des Philipp Scherb und des Krypto-Sozinianers Ernst Soner an die Sozinianer der ersten und zweiten Generation vermittelt. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Schrift Metaphysica repurgata des Sozinianers Christoph Stegmann von 1635, in der der Hylemorphismus zum Konstitutionsprinzip einer materialistischen Metaphysik wird - mit der Folge, dass selbst Gott und den Engeln Materie zugeschrieben wird. Diesen Materialismus in all seinen Facetten in den Disziplinen der Physik, Psychologie und Metaphysik aufzuzeigen, ist das Ziel der systematischen Rekonstruktion der Philosophie der Sozinianer. Im Mittelpunkt werden der Seelen-, Substanz-, Person- und Gottesbegriff stehen. Um hierbei die zeitgenössischen Konturen angemessen herausarbeiten zu können, soll der philosophische Materialismus der Sozinianer mit der Philosophie des Geistes im Luthertum kontextualisiert werden. Beide Modelle repräsentieren dabei nicht nur die beiden Extreme des Aristotelismus am Ende seiner Wirksamkeit, sondern geben auch die groben Linien für das weitere Geschick der Philosophie bis weit ins 18. Jh. vor.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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