Die Aushandlung von Kultur durch Video-Spielfilme und Bongo Fleva-Musik in Tansania
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Swahilisprachige Video-Spielfilme und Bongo Fleva-Musik sind dynamische Felder tansanischer Kulturproduktion, die sich gegenwärtig den Herausforderungen der neoliberalen Ära stellen müssen. Im Bereich der Videofilmproduktion lässt sich eine Entwicklung hin zur Kulturindustrie beobachten. Der erhebliche Wettbewerbsdruck hat Filmemacher veranlasst, die nach dem Modell der Theatergruppen im Sozialismus etablierten Schauspielgruppen aufzulösen, um mit kleinen Mitarbeiterstäben kostengünstiger und schneller produzieren zu können. Der Übergang von kollektiven Unternehmen zu privaten Firmen spiegelt – wenn auch zeitlich verzögert – den gesellschaftlichen Umbruch Tansanias von einem ehemals sozialistischen zu einem marktwirtschaftlichen System wider. In der Distribution ist die Tendenz zur Selbstvermarktung zu beobachten, die als Emanzipation vom bisherigen Distributionsmonopol zweier international vernetzter Firmen beschrieben werden kann. Mit dem südafrikanischen Sender M-Net, der auch tansanische Videofilme mit englischen Untertiteln Afrikaweit ausstrahlt, ist ein weiterer wichtiger Distributionskanal hinzugekommen. Ähnlich wie sich Regisseure aus dem Griff der Produktions-cum-Distributionsfirmen befreit haben, streben auch Musiker danach, sich von den Radio- und Fernsehsendern unabhängig zu machen, wobei sie sich jedoch gegen die ungleich stärkere Macht der Sender weitaus weniger durchsetzen können. Musikfernsehen hat das Radio als wichtigstes Distributionsmedium für tansanische Musik abgelöst. Dadurch hat das Genre des Musikvideos massiv an Bedeutung gewonnen, was aufgrund der erhöhten Produktionskosten, die von den Musikern selbst getragen werden müssen, Nachwuchstalenten den Zugang zur Musikindustrie erschwert. Auch hier lässt sich eine transnationale Verbreitung beobachten, sei es durch überregionales Satellitenfernsehen oder durch Internetplattformen wie YouTube, was ebenfalls auf die konkrete Gestaltung der Musikvideos zurückwirkt. Dass das Forschungsprojekt eine Wendung zur Analyse des Ökonomischen genommen hat, hängt einerseits mit den Veränderungen im Forschungsfeld selbst zusammen, aber auch damit, dass den ökonomischen Aspekten populärer Kultur in Afrika, die sich gegenwärtig vielerorts zu Unterhaltungsindustrien wandelt, bisher zu wenig Beachtung geschenkt wird. Dabei wird vernachlässigt, dass auch Kultur- und Sozialkritik, wie sie in Form von Videospielfilmen und Musik artikuliert werden kann, einen Markt braucht. Hinsichtlich der in Filmen und Musikstücken verarbeiteten Themen konnte durch das Projekt eine Bestandsaufnahme geleistet werden. Neben den bereits bekannten Themen, die z.B. die Beziehungen zwischen den Geschlechtern- und Generationen, die Zumutungen des Neoliberalismus, oder das Verhältnis von Tradition und Moderne behandeln, wurden durch das Projekt vor allem zwei signifikante thematische Komplexe näher untersucht: selbstreflexive Verortungen der jeweiligen Branche im Film bzw. Liedtext, sowie das Genre des ‚offenen Briefs‘ an Politiker im Liedtext. Beide Themenkomplexe dienen einer Aushandlung der gesellschaftlichen Position tansanischer Kulturschaffender, die sich als Stimme des Volkes und Mittler zwischen Volk und Politikern positionieren, und damit vom älteren sozialistischen Modell entfernen, das Künstler zu Sprachrohren der Regierung degradierte. Die Musiker brechen dabei auch mit der Tradition der Indirektheit und Verschleierung (Text/Subtext), die politische Kritik in Liedform in Afrika bis dato kennzeichnete. Dieser Bruch wir durch die fortschreitende Demokratieentwicklung möglich. Dass sich Musiker jedoch nicht einzig mittels ihrer Kunst in die Politik einmischen, zeigt das Beispiel des Musikers Sugu, der bei den Wahlen im Jahr 2010 erfolgreich für einen Sitz im Parlament kandidierte.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- 2009. Turning rice into pilau. The Art of Video Narration in Tanzania, in: Intermédialités No. 4, 2009 (Elektronische Ausgabe "Re-dire", herausgegeben von Vincent Bouchard, Ute Fendler und Germain Lacasse)
Krings, Matthias
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.7202/1015086ar) - 2010. A Prequel to Nollywood: South African Photo Novels and their Pan-African Consumption in the late 1960s, in: Journal of African Cultural Studies 22,1: 75-89
Krings, Matthias
- 2010. Jugend, Musik und Politik in Tansania. Bongo Fleva – die Musik der neuen Generation, in: Habari 3&4 (2010): 157-169
Reuster-Jahn, Uta
- 2010. Kuna kupanda na kushuka, bwana! (There is rise and there is fall, man!): Reflections on the Music Business in Bongo Fleva Song Lyrics, in: Mitchel Strumpf und Imani Sanga (Hrsg.), Readings in Ethnomusicology: A Collection of Papers Presented at the Ethnomusicology Symposium 2010. University of Dar es Salaam, S. 117-129
Reuster-Jahn, Uta
- 2010. Mit Speer in der Stadt. Abenteuerliche Moderne im Fotoroman der 1960er Jahre, in: Kerstin Pinther, Larissa Förster und Christian Hanussek (Hrsg.): Afropolis. Stadt, Medien, Kunst. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, S. 158-165
Matthias Krings
- 2011. The Bongo Flava industry in Tanzania and artists’ strategies for success. Arbeitspapiere Nr. 127. Mainz: Johanes Gutenberg Universität, Institut für Ethnologie und Afrikastudien
Reuster-Jahn, Uta und Gabriel Hacke