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From Advertisment to Marketing: Pharmaceutical Enterprises, Patients, Physicians and the Construction of Medical Markets

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2009 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 93283625
 
Erstellungsjahr 2013

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die Frage der Wissensproduktion, der Karriere und Laufbahn von Wirkstoffen (drug trajectories) und der Zulassung und Regulierung von Arzneimitteln gibt der Pharmazie-Geschichtsschreibung seit der Anfang der 1990er Jahre neue Impulse. Fast paradox ist jedoch, dass diese neue Pharmazie-Geschichte der Kommerzialisierung des Arzneimittelmarktes selbst bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat - und dass, obwohl sich gerade Pharmazeuten (ob als industrielle Hersteller oder Apotheker) seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sich als Urheber von Werbeanzeigen und anderen Formen der breitenwirksamen Reklame hervortaten. Die Frage nach den Mechanismen dieser Kommerzialisierung stand im Mittelpunkt des von der DFG und der ANR geförderten Forschungsvorhaben GEPHAMA zur vergleichenden Geschichte der Arzneimittelwerbung in Frankreich und Deutschland. Die Werbung wurde hierbei auf die Modi des Wissens, der materialen Praktiken sowie der Darstellungen des Arzneimittelgebrauch hin untersucht. Uns interessierte die Werbung keineswegs nur als ein Phänomen der Marketing-Geschichte. Unsere spezifische Frage galt vielmehr den Verbindungen und Schnittstellen zwischen Werbung, Forschung, Entwicklung und staatlicher Regulierung. So wurde die klinische Forschung beispielsweise früh bei westdeutschen Firmen auch als Instrument der Werbung und des Marketings entwickelt. Diese Perspektive eröffnet uns ein besseres Verständnis der beiden Seiten des wissenschaftlichen Marketings in der Pharmaindustrie, die auch heute den Umgang mit diesem Phänomen so erschwert: Einerseits folgt das wissenschaftliche Marketing der Regeln moderner Werbung (nach denen jedes Produkt beliebig vermarktet werden kann), andererseits ist das wissenschaftliche Marketing ein wirksames Instrument, um professionelle Bedürfnisse auszumitteln. Um die Herausbildung des Arzneimittelmarktes in Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert zu untersuchen, haben wir unsere Analyse auf eine überschaubare Anzahl von Wirkstoffgruppen beschränkt, i.e. Schmerzmittel, Schlafmittel und Psychotropika, Sexualhormone und Antidiabetika. Das als Arbeitshypothese entwickelte dreistufige Modell der Entwicklung der pharmazeutischen Werbung musste im Lauf der Arbeiten modifiziert werden. Tatsächlich ließen sich für den Untersuchungszeitraum nur zwei Phasen nachweisen, die sich grob in die Phasen 1920-1945 als Sattelzeit modernen Marketings und die Nachkriegszeit mit seiner vollen Entfaltung und dem Einfluss von psychologischer Forschung und Marktforschung unterscheiden lassen: 1. „Branding“ : Die Etablierung von Marken dominierte den Arzneimittelmarkt bis in die 1930er Jahre. Solange Apotheken und Arzneimittelhersteller trotz vieler Konflikte kooperativ an der Zubereitung und Herstellung von Arzneimitteln beteiligt waren, war Werbung wesentlich eine Frage des (Marken-) Namens, der in den Anzeigen und Veröffentlichungen hervorgehoben wurde und im Gegensatz zu Patenten eintragen und geschützt werden konnte. Dieses System war auf die Verbreitung gedruckten Werbematerials hin organisiert (wie z.B. Werbung in Zeitschriften); es wurden Ärzte wie Patienten beworben, da viele Fertigarzneien zwar apothekenpflichtig, aber rezeptfrei zu erwarben waren. 2. Wissenschaftliches Marketing: Das wissenschaftliche Marketing wurde erst in den 1960er Jahren vorherrschend als Folge neuer industrieller Organisationsstrukturen. Die Herausbildung des Marketings korrespondierte mit einer Professionalisierung der Werbung, der wachsenden Größe der Kampagnen, die eingebettet waren in vielfältige Bemühungen (unter ihnen die nun dominierende Figur des Arzneimittelvertreters) und mehr den Arzt als den Patienten adressierten. Dies ging einher mit einer Verwissenschaftlichung der Werbung in zweifacher Weise: Erstens die wechselseitige Mobilisierung und Indienstnahme laborexperimenteller Erkenntnisse und wie klinischer Forschungsergebnisse im Zuge der „therapeutischen Revolution“ und steigenden Marktschwellen. Zweitens wurde im gleichen Zeitraum die Werbung selbst zu einem Mittel der Forschung. Diese Ergebnisse unterstreichen die enorme Bedeutung des wissenschaftlichen Marketings für den sich herausbildenden Arzneimittelmarkt seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Übergang von der Reklame zum wissenschaftlichen Marketing vollzog sich in Deutschland früher als in Frankreich, nämlich bereits in den 1920er Jahren und im Gegensatz zu manchen Vorannahmen weitgehend ohne Zuhilfenahme US-amerikanischer Werketechniken. Wissenschaftliches Marketing ist vielmehr eine Element einer viel allgemeineren Transformation der großen Industrieunternehmen in Funktionsabteilungen unter der Leitung technischer und wissenschaftlicher Fachleute (z.B. R&D) und der Einführung technischer Leitungsstrukturen - und in dieser Hinsicht somit nicht spezifisch für die pharmazeutische Industrie. Spezifisch ist hingegen die Stellung der Professionellen (Ärzte, Pharmakologen und Pharmazeuten) und die Bedeutung der klinischen Forschung für die Herstellung von Märkten. Die Antidepressiva sind ein schlagendes Beispiel für die looping-Effekts zwischen Arzneimittelmarkt und ärztlichem Handeln. So antwortet wissenschaftliches Marketing nicht auf spezielle Bedürfnisse des Marktes. Es erzeugt diese Bedürfnisse vielmehr, wobei es medizinisches Wissen benutzt - aber auch formt: Marketing verändert Indikationsstellungen, prägt diagnostische Kategorien und beeinflusst die Regeln ärztlichen Handelns - in einem Wort: es re-definiert die Krankheiten und ihre Grenzen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Vom Mittel der Familienplanung zum differenzierenden Lifestyle-Präparat: Bilder der Pille und ihrer Konsumentin in gynäkologischen Werbeanzeigen seit den 1960er Jahren in der BRD und Frankreich. NTM 20 (2013), 1-30
    Lisa Malich
 
 

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