Sound-Schlachten Männlichkeit, Gewalt und ´Whiteness´ in subkulturellen Musikszenen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt untersuchte Konstruktionen von Männlichkeit, Whiteness und symbolischer Gewalt in den subkulturellen Musikszenen Industrial (bes. die Subsparten Rhythm, Noise und Martial Industrial sowie die Nachbarbereiche Neofolk und Darkpsy) und Extreme Metal (bes. Pagan und Black Metal). Methodologisch stützte sich die Untersuchung auf einen ethnografischen (teilnehmende Beobachtung, Interviews) und medienbasierten (Analyse von Tonträgern, Musikmagazinen und Online-Foren) Zugang, und verfolgte drei zentrale Teilziele: einen Einblick in die intermediale und interaktive Aufladung des somato-sensorischen erlebten Sounds mit (sub)kulturellen Bedeutungen; eine Analyse des Zusammenspiels der Konstrukte Männlichkeit, Whiteness und Kriegertum in den betrachteten Szenen; eine Reflexion der gesellschaftlichen Relevanz subkultureller Konstrukte von Gender, Ethnizität und Gewalt. Die zentrale Gemeinsamkeit der hier diskutierten Musikformen ist ihr Spiel mit sonischen Extremen (z.B. starke Verzerrungen, hochfrequente Geräusche, Dissonanzen), die ‘Gewalt’ quasi physisch erfahrbar machen. Die Musik wird von Insidern jedoch selten als wirklich aggressiv empfunden. Gerade Fans klanglich besonders extremer Industrial- bzw. Metal-Subsparten betonen oft emotionale Vielschichtigkeit und ‘leise Töne’ im Hintergrund als das eigentlich Faszinierende, und beschreiben ihr Sound-Erleben als fast meditativ oder schlicht rauschhaft. Dieser Rausch wird als unmittelbare sinnlich-ekstatische Leib-Erfahrung berichtet, die konventionelle Identitätskategorien auf subjektiver Ebene temporär sprengt. Inhaltlich ist Industrial und Pagan/Black Metal ein häufiger Rekurs auf teils mythisch überhöhte historische Motive gemein, welche sich um Kampf, Krieg und Militarismus drehen und starke Referenzen zu Männlichkeit und Whiteness beinhalten. Im Gegensatz zum gesamtgesellschaftlichen Umgang mit diesen dominanten Kategorien, die dort eher als versteckte, quasi unmarkierte Normen operieren, fungieren diese Konstrukte im Industrial und Pagan/Black Metal als explizite, demonstrative Ideale. So betreiben Pagan und Black Metal eine Verherrlichung archaischen Kriegertums, gepaart mit einer Zelebrierung nordischer Mythologie. Im Industrial dominiert die Beschäftigung mit historischen oder aktuellen Aspekten moderner Kriegsführung und totalitärer Regime, besonders der NS-Diktatur. Obwohl Musiker und Fans selten eindeutig rechte Positionen vertreten, ist das Spiel mit faschistoider Symbolik beliebt und wird häufig zur Inszenierung einer provokativen ‘bad boy’-Männlichkeit instrumentalisiert. Im Gegensatz zu den Bad Boys des HipHop ist die im Industrial und Pagan/Black Metal übliche maskuline Performanz betont weiß und von Mittelschicht-Werten geprägt. Die Mitglieder beider Szenen eint das Paradox, aus einer dominanten kulturellen Positionierung als größtenteils männlichweiß-bürgerlich heraus eine subkulturelle Pose zu verkörpern, ohne ihren privilegierten Status aufzugeben. Provokative Inszenierung funktioniert hier häufig über eine hyperbolische Darstellung der eigenen dominanten sozialen Identitätskategorien. Dennoch bieten Industrial und Pagan/Black Metal gerade aufgrund ihrer Tendenz, traditionelle Geschlechterbilder zu hyperbolisieren, für einzelne Fans einen Raum für ironisch-subversive Aneignungen. Ferner existieren in beiden Szenen progressive Strömungen, die drastische Kritik an einer zunehmenden Technisierung und Militarisierung der Lebenswelt üben. Über dystopische Kriegs- und Zerstörungsszenarien werden dort traditionelle Konzepte von Männlichkeit und ‘weißer’ kultureller Überlegenheit indirekt in Frage gestellt. Während auch in sonisch extremeren Spielarten des Industrial und Extreme Metal Bezüge auf Kampf, Krieg und Totalitarismus gängig sind, dort aber häufig eher kühl-abstrakt präsentiert werden, ist der kriegerische Gestus bei den klanglich gemäßigteren Subgenres Martial Industrial und Pagan Metal besonders ausgeprägt und meist heroisch, wobei martialische Männlichkeit und Eurozentrismus affirmiert werden. Auch der subkulturhistorisch eng mit der Industrial-Szene verflochtene Neofolk thematisiert gerne affirmativ Krieg und Militarismus, während seine folkloristischen Songs eher gefällig wirken. Ähnliche thematische Inhalte werden hier also auf sonischer Ebene höchst unterschiedlich umgesetzt. Darkpsy hingegen weist eine sonische Verwandtschaft zu rhythmischen Industrial-Spielarten auf, hat aber andere subkulturelle Wurzeln – die Goa-Trance-Szene mit ‘Peace, Love and Harmony’- Ideologie – und vermittelt somit ein konträres Ideal von Männlichkeit und Ethnizität. Dort werden also entgegengesetzte Themen und Ideologeme in ähnlichen Klangbildern umgesetzt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2009). „Black Metal ist Krieg“: Die mythische Rekonstruktion martialischer ‘weißer’ Männlichkeit in subkulturellen Musikszenen. In K. Kauer (Hrsg.), Pop und Männlichkeit. Zwei Phänomene in prekärer Wechselwirkung? (S. 181-204). Berlin: Frank & Timme
Brill, D.
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(2010). Transgression ohne Queer – Die Inszenierung martialischer Männlichkeit als ‘Anti-Drag’ in der Industrial- und Extreme Metal-Szene. In I. Nagelschmidt et al. (Hrsg.), Interdisziplinäres Kolloquium zur Geschlechterforschung. Die Beiträge (S. 129-148). Frankfurt a. M.: Peter Lang
Brill, D.
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(2011). Klänge des Krieges – die Konstruktion ‘weißer’ Männlichkeit im Industrial und Black/Pagan Metal. In: Journal der Jugendkulturen, Nr. 17 (S. 11-21). Berlin: Archiv der Jugendkulturen
Brill, D.
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(2012). Macht-volle Sounds – Männlichkeit, ‘Whiteness’ und Class in der Industrial- und der Extreme-Metal-Subkultur. In: P.-I. Villa et al. (Hrsg.), Banale Kämpfe? Perspektiven auf Populärkultur und Geschlecht (S. 23-38). Wiesbaden: Springer VS
Brill, D.