Inszenierung und Performativität von Wissen: Städtische Voksfeste in Berlin nach 1945
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In dem Forschungsprojekt „Inszenierung und Performativität von Wissen: Städtische Volksfeste in Berlin nach 1945“ wurde exemplarisch am Beispiel des Stralauer Fischzuges, des Steglitzer Heimatfestes und des Deutsch-Amerikanischen Volksfestes analysiert, wie bei der Wiederaufnahme der Berliner Stadtfeste in der Nachkriegszeit bzw. für ihre Neugründung in den 1960er Jahren auf volkskundliche Wissensbestände zurückgegriffen wurde. Die historisch-traditionellen Darstellungen wurden dabei aktiv und „kreativ“ mit Formen und Praktiken populärer Geselligkeit verbunden. Je nach gesellschaftlichen, politischen und sozialen Kontexten wurden die verwendeten Wissensbestände jeweils umgedeutet, neu interpretiert oder verändert inszeniert. In der interdisziplinären Perspektive von Europäischer Ethnologie und Theaterwissenschaft konnten diese Feste sowohl im Hinblick auf die verwendeten Wissensbestände und die diskursiven Praktiken der Akteure als auch bezüglich ihrer Wirkungsdimension und performativen und theatralen Prozesse rekonstruiert werden. Dabei wurde zum einen festgestellt, dass die volkskundlichen bzw. folkloristischen Wissensbestände besonders in der Nachkriegszeit bzw. den 1950er Jahren in den verschiedenen politischen Kontexten genutzt wurden, um Heimat, Nachbarschaft und Gemeinschaft zu konstruieren. Dadurch sollte eine Kontinuität hergestellt werden, die sowohl zur eigenen Identitätskonstruktion der Akteure als auch zur Legitimierung der politischgesellschaftlichen Ordnungen genutzt werden konnte. Zum zweiten ließ sich der Auswertung der betrachteten Feste eine übergreifende Ordnung, ein spezifisches Format „Volksfest“ identifizieren, so dass sich trotz der unterschiedlichen kulturellen Intentionen eine ähnliche „Machart“ der Feste herauspräparieren ließ. Zeitlich oder räumlich „Fremdes“ wurde durch seine Darstellung und Inszenierung bei den jeweiligen Volkfesten in „Eigenes“ und Vertrautes umgewandelt und vice versa Vertrautes über theatrale Strategien verfremdet und mit neuer Bedeutung aufgeladen. Das Konzept des Wissensformats erwies sich zudem als geeigneter Bezugspunkt für die interdisziplinäre Zusammenarbeit, ließen sich hierüber doch sowohl die Fragen nach den ästhetischen Qualitäten der Aufführungen als auch nach der Wissensgenerierung und - vermittlung sowie nach Transfer und Transformation des Wissens in einer verbindenden Rahmung bündeln. Für die theaterwissenschaftliche Forschung ergaben sich hieraus weiterführende Fragen nach dem Verhältnis von Wissensvermittlung und ästhetischer Erfahrung sowie der konzeptionellen Fassung von Festen nicht nur im Sinne der Cultural Performance, sondern in einer weiteren Bedeutung als intermediale Gefüge.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Staging Festivity. Theater und Fest in Europa (= Theatralität Bd. 10), Tübingen/ Basel: Francke 2009
Erika Fischer-Lichte/Matthias Warstat
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Europäisches Kulturerbe. In: Städte und Regionen. Ihr kultureller Auftrag für Europa und seine Umsetzung. Ein Leitfaden. Initiative "Europa eine Seele geben". 2010, S. 133-137
Wolfgang Kaschuba
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Das Museum als stiller Teilhaber? Überlegungen zum musealen Repräsentationsmodus. In: Mitteilungsblatt des Museumsverbandes für Niedersachsen und Bremen e.V. 72 (2011), S. 14-28
Wolfgang Kaschuba
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Sozialistische Folklore? – Der Stralauer Fischzug in Berlin zwischen 1954 und 1962. In: Deutschland Archiv Online. Zeitschrift für das vereinigte Deutschland, 10/2011
Cornelia Kühn
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Wem gehört die Stadt? Für eine Re-Politisierung der Stadtgeschichte. In: Claudia Gemmeke/ Franziska Nentwig (Hg.): Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen, Berlin 2011, S. 17-25
Wolfgang Kaschuba