Visuelle Nacheffekte und neuronale Adaptation in Wechselwirkung mit der mentalen Vorstellung
Final Report Abstract
Das vorliegende Projekt untersuchte die Fragestellung ob sich die die Wahrnehmung und die mentale Vorstellung der eigenen Körperproportionen (Körperbild) experimentell durch eine visuelle Adaptation auf bestimmte Körperformen beeinflussen lässt und welche Areale des visuellen Systems im menschlichen Gehirn dabei beteiligt sind. Die anhaltende Betrachtung eines bestimmten Stimulus oder bestimmter gleichartiger Stimuli wird in der Psychophysik als Adaptation bezeichnet und führt in der Regel zu einer Wahrnehmungsverschiebung für den fraglichen Stimulustyp, wobei diese Wahrnehmungsverschiebung stets in die dem Adaptationsstimulus entgegengesetzte Richtung erfolgt. Diese Wahrnehmungsverschiebung wird als Nacheffekt bezeichnet und ist sowohl für einfache visuelle Objekteigenschaften wie Orientierung, Bewegung oder Farbe, aber auch für komplexe visuelle Stimuli wie Gesichter bekannt. In einem ersten Experiment des Projektes adaptierten Probanden auf ein verzerrtes dünnes und ein verzerrtes dickes Bild des eigenen Körpers (Adaptationsstimuli). Nach der Adaptation auf ein dünn gemorpthes Bild wurde ein dünneres Bild des eigenen Körpers als realistisch bewerteten, wohingegen nach einer Adaptation auf ein dick gemorpthes Bild ein dickes Bild des eigenen Körpers als realistisch eingeschätzt wurde. Zusätzlich erfasste fMRTDaten dokumentierten, dass die psychophysikalische Adaptation auf bestimmte Körperformen ebenfalls eine korrespondierende neuronale Adaptation unter anderen in der Fusiform Body Area (FBA) bewirkte, eine Region des visuellen Systems welche körperselektive Neuronen beinhaltet. Die Ergebnisse geben möglicherweise auch Hinweise auf einen neurokognitiven Mechanismus, welcher für die Entstehung von Körperbildstörungen im Rahmen von Essstörungen relevant sein könnte. Weitere Experimente dokumentierten, dass die gefundene Veränderung im Körperbild unabhängig von der Identität der präsentierten Körper entstehen kann. Der Effekt konnte sowohl mit dick und dünn verzerrten Bildern des eigenen Körpers als auch mit dicken und dünnen Bildern fremder Körper induziert werden Dies impliziert, dass es sich bei der Wahrnehmung von bestimmten Körperformen bzw. der Figur um einen Prozess handeln könnte, welcher identitätsunabhängig stattfindet. In Anbetracht des schlanken Idealbildes eines Frauenkörpers in den westlichen Kulturen und dessen Präsenz in den Medien, bietet die Tatsache, dass eine Frau ihren eigenen Körper anders wahrnimmt und einschätzt, nachdem sie die Körper anderer Frauen betrachtete, einen weiteren wichtigen Hinweis auf einen möglichen Entstehungsmechanismus für Körperbildstörungen. Interessanterweise lies sich keine veränderte mentale Vorstellung des eigenen Körpers induzieren, wenn die Probanden auf simple visuelle Objekte unterschiedlicher Breite als vereinfachte Stellvertreter für dünne und dicke Körper adaptierten. Dieses Resultat impliziert, dass es sich bei der bereits zuvor beobachteten Wahrnehmungsverschiebung bezüglich des eigenen Körpers als Folge einer Adaptation auf Bilder von dünnen und dicken Körpern um einen Effekt handelt, welcher sich nicht (gänzlich) auf einfache visuelle Stimuluseigenschaften wie Form zurückführen lässt, sondern spezifisch auf die visuelle Wahrnehmung von Körpern einwirkt. Neben dem ergänzenden Erkenntnisgewinn im Rahmen der perzeptuellen Nacheffektforschung bieten diese Resultate Anhaltspunkte zur Klärung eines möglichen Mechanismus zur Entstehung und Aufrechterhaltung klinisch relevanter Körperbildstörungen. Zukünftige Studien könnten klären, ob die häufige und intensive Betrachtung bestimmter Körperstimuli, bedingt durch eine hohe Unzufriedenheit mit der eigenen Figur und eine selektive Aufmerksamkeit für bestimmte Körperstimuli zu einer Wahrnehmungsverzerrung für die eigene Figur führt und ob dieser Prozess in der Aufrechterhaltung einer Körperbildstörung bei klinischen Populationen wie z.B. Bulimia und Anorexia Nervosa beobachtet werden kann.
Publications
- (2012). Body shape adaptation cannot be explained by adaptation to narrow and wide rectangles. Perception, Perception;41(11):131522
Hummel D, Grabhorn R, Mohr HM
(See online at https://doi.org/10.1068/p7197) - (2012). Neural adaptation to thin and fat bodies in the Fusiform Body Area and middle occipital gyrus: An fMRI adaptation study. Human Brain Mapping
Hummel D, Rudolf AK, Brandi ML, Untch KH, Grabhorn R, Hampel H, Mohr HM
(See online at https://doi.org/10.1002/hbm.22135) - (2012). Visual adaptation to thin and fat bodies transfers across identity. PLoS One, 7, e43195
Hummel D, Rudolf AK, Untch KH, Grabhorn R, Mohr HM
(See online at https://doi.org/10.1371/journal.pone.0043195)