Figurationen des Märtyrers in nahöstlichen und europäischen Kulturen: Das Nachleben traditioneller Märtyrerkulturen in der Gegenwart
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Figur des Märtyrers, die in der ersten Projektphase als eine zwischen den westlichen Religionskulturen (und ihren säkularisierten Formen) situierte untersucht worden war, erfuhr im Berichtszeitraum die konsequente Engführung hin auf ihre spezifischen Ausformungen und (Selbst-)Inszenierungen in den islamischen Religionskulturen von Sunna, Schia und Baha’itum sowie in ihrem aktuellen Nachleben. Dabei wurden nicht nur die literarischen Stilisierungen von Märtyrern im Anschluss an Koran, den mittelalterlichen Dichtungen und Traktaten berücksichtigt, sondern auch ihre Fortsetzung in Videobotschaften des gegenwärtigen militanten Islam. Untersucht wurde weiters die entweder Annullierung oder Überbietung martyrologischer Narrative und Szenarien in einer prophetischen religiösen Neugründung des 19. Jahrhunderts. Erstmalig wurde auch ihre Transformation in der performativen Darstellungen aufgewiesen, die einen prägnanten Ausdruck in Inszenierungen wie der Ta’ziya gefunden hat. Wie es auch in den westlichen Religionskulturen nicht nur eine Form religiöser Gewalterfahrung gibt, so kann ebenso wenig die erlittene gegenüber der ausgeübten Gewalt zum Unterscheidungskriterium von jüdischen, christlichen und muslimischen Religionskulturen gemacht werden. Die drei Teilprojekte haben insgesamt nicht nur die bestehende Forschung vertieft, sondern wesentliche, bisher weitgehend übersehene Aspekte in den Figurationen des Märtyrers in nahöstlichen und europäischen Kulturen sichtbar gemacht. In dem Teilprojekt von Horsch ist dies der Nachweis der "unreinen" Herkunft und Hybridität der gegenwärtigen sunnitischen Märtyrerfigur, die national-säkulare ebenso religiös-islamische Elemente umfasst, sowie die Rolle von Bildern in einer sonst als ikonophob angesehenen Religionskultur. Im Teilprojekt von Dehghani wurde die antike philosophische Tradition um Sokrates in ihrer Vorbildrolle nachgewiesen und die Gründungsphase des Baha’itums unter dem Aspekt des Märtyrers näher bestimmt. Im Teilprojekt von Palizban ist mit den Methoden der Theaterwissenschaft das Aufeinandertreffen von Ritualität und Theatralität am Bespiel der Ta‘ziya gezeigt und in seinen dramatischen und theologischen Wirkungen erörtert worden. Hingewiesen sei auch auf den Umstand, dass die Verwertung der Forschungsergebnisse nicht nur gegenüber den akademischen Fachvertretern, sondern auch für ein breiteres Publikum geleistet worden ist: sei es durch öffentliche Gespräche, Interviews oder die Wahl eines Mediums wie des Films. Die im Projekt insgesamt geleisteten Forschungen besitzen eine aktuelle Bedeutung, die angesichts der jüngsten Konflikte noch zugenommen hat und eigentlich einer Fortführung und weiteren Vertiefung bedürfte.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Grenzgänger der Religionskulturen: Kulturwissenschaftliche Beiträge zu Gegenwart und Geschichte der Märtyrer. München, Fink 2011
Silvia Horsch, Martin Treml (Hrsg.)
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Martyrium und Messianismus. Die Geburtsstunde des Baha’itums. Wiesbaden, Harrasowitz 2011
Sasha Dehghani
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Tod im Kampf. Figurationen des Märtyrers in frühen sunnitischen Schriften. Würzburg, Ergon 2011
Silvia Horsch
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Martyrdom in the Modern Middle East. Würzburg, Ergon 2014
Sasha Dehghani, Silvia Horsch (eds.)
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Performativität des Mordes: Aufführung des Märtyrertums in Ta‘ziya als ein schiitisches Theater-Ritual. Berlin, Kulturverlag Kadmos. 2016
Maryam Palizban