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Terrain vague: Ästhetik und Poetik urbaner Zwischenräume in der französischen Moderne

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2013 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 248296090
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ausgangspunkt des Projekts war die Beobachtung, dass der französische Begriff zur Bezeichnung städtischer Brachflächen, terrain vague, seit den 1990er Jahren eine wichtige Rolle in der kulturwissenschaftlichen und architekturtheoretischen Beschreibung des entsprechenden Phänomens spielt und sich auch im Bereich verschiedener Künste großer Beliebtheit erfreut, bislang jedoch von diesen Seiten aus weder auf seine historische Tiefe noch auf seine semantische Komplexität hin genauer untersucht wurde. Insbesondere blieb bis dato seine zweihundertjährige Literaturgeschichte sowie sein Übergreifen (als Begriff und Motiv) auf andere Medien, vor allem die Fotografie und das Kino Frankreichs, weitgehend unerforscht. Die davon ausgehende Untersuchung eines literarischen und filmischen Korpus, das im Laufe des Projekts geschaffen und stetig erweitert wurde, ließ sich dabei von der These leiten, dass der Begriff des terrain vague, anders als seine Entsprechungen in anderen Sprachen (etwa der Brache im Deutschen) das Phänomen aus einer dezidiert subjektiven Warte aus perspektiviert, wodurch sich erst die vornehmlich ästhetische und poetische Behandlung der Stadtbrache unter diesem Begriff erklärt. Zur Untersuchung der Frage, welche vielfältigen Bedeutungen dem terrain vague als einem einzigartigen urbanen Ort zugeschrieben werden und im Laufe der spektakulären Geschichte der europäischen Stadt seit dem frühen 19. Jahrhundert zugeschrieben wurden, standen sich ein historisches und ein systematisches Arbeitsfeld gegenüber. Ziel des erstgenannten Arbeitsfelds war es, epochen- und genrespezifische Paradigmen der Darstellung von terrains vagues in Literatur und Kino Frankreichs ausfindig zu machen und zu analysieren. Dass das terrain vague regelmäßig als ein ›Prismaraum‹ auftaucht, der aus der städtischen Leere heraus einen Blick auf die Transformationen des urbanen Lebensraums freigibt, als ein ›Erfahrungsraum‹, der aufgrund seiner prinzipiellen Unbestimmtheit und Vagheit besondere, ästhetisch verarbeitete Erlebnisse etwa des Unbekannten, Fremden, Unheimlichen oder Abgründigen auslöst oder als ein ›Möglichkeitsraum‹, der aufgrund seiner Offenheit praktisch oder imaginativ immer neu bespielt, als sozialer Gegenort und widerständiger Freiraum besetzt sowie utopisch belegt wird, gehört zu den Konstanten dieser Geschichte. Ziel des zweitgenannten Arbeitsfeld hingegen war es, die Analyse des terrain vague vor dem Hintergrund dieser Geschichte so mit den Erkenntnisnissen urbanistischer Disziplinen zu kombinieren, dass sich daraus ein systematisches Beschreibungsmodell ergibt, welches der Vielschichtigkeit des Phänomens gerecht wird. Als Ergebnis wurde ein Modell entworfen, welches erstmalig die verschiedenen theoretischen Zugänge (Architektur, Ökonomie, Politik, Soziologie, Ethnologie, Ökologie und Ästhetik/Phänomenologie), die einzeln in der Stadtforschung von den jeweiligen Disziplinen vertreten werden, zu einem einheitlichen Bild zusammensetzt und ordnet. Insofern konnte das Projekt sowohl im Bereich der Romanistik als auch der Urbanistik Lücken innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses schließen und zudem einen Beitrag zur interdisziplinären Vernetzung leisten. Im Zuge der Projektarbeit hat sich insbesondere erwiesen, dass die Faszinationskraft des terrain vague, welche sowohl zu einer Fülle literarischer und filmischer Beschreibungen als auch zu einer kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Stadtbrache geführt hat, zahlreiche Möglichkeiten interdisziplinärer Untersuchungen eröffnet, die neues und weiteres Licht auf die realen Kontextstrukturen literarischer Texte und Filme einerseits und auf die subjektiven Strukturen des erlebten Raums andererseits werfen können.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2015): »No man’s land. Poétique d’une zone neutre«, in: Philippe Antoine/W. N. (Hrsg.): Le mouvement des frontières. Déplacement, brouillage, effacement, Clermont-Ferrand: Presses Universitaires Blaise Pascal (Littératures), S. 149–161
    Nitsch, Wolfram
  • (2015): »Terrain vague. Essai sur la topologie et la poétique de la friche urbaine«, in: Philippe Antoine/Wolfram Nitsch (Hrsg.): Le Mouvement des frontières. Déplacement, brouillage, effacement, Clermont-Ferrand: Presses Universitaires Blaise Pascal (Littératures) 2015, S. 163–181
    Broich, Jacqueline/Daniel Ritter
  • (2016): »Vom Kreisverkehr zum Karussell. Nicht-Orte als komische Spielräume bei Jacques Tati«, in: Romanische Studien 3, S. 301–317
    Nitsch, Wolfram
  • (2017): Die Stadtbrache als »terrain vague«. Geschichte und Theorie eines unbestimmten Zwischenraums in Literatur, Kino und Architektur, Bielefeld: Transcript 2017 (machina, 12)
    Broich, Jacqueline/Daniel Ritter
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839440957)
  • (2017): »Der Gangster als Spieler. Handwerk und Hasardspiel in Melvilles Bob le flambeur«, in: Hermann Doetsch/Andreas Mahler (Hrsg.): Gangsterwelten. Faszination und Funktion des Gangsters im französischen Nachkriegskino, Bielefeld: Transcript (Machina), S. 153–169
    Nitsch, Wolfram
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839436332-006)
  • (2017): »Niemandsland. Ein unbestimmter Zwischenraum jenseits des terrain vague«, in: Jacqueline Broich/Daniel Ritter: Die Stadtbrache als »terrain vague«. Geschichte und Theorie eines unbestimmten Zwischenraums in Literatur, Kino und Architektur, Bielefeld: Transcript 2017 (machina, 12), S. 285–299
    Nitsch, Wolfram
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839440957-008)
  • (2017): »Terrains vagues en noir et blanc. La banlieue de Paris dans les albums photographiques d’après-guerre«, in: in: Philippe Antoine/Danièle Méaux/Jean-Pierre Montier (Hrsg.): La France en albums (XIXe–XXIe siècles), Paris: Hermann (Colloque de Cerisy), S. 203– 216
    Nitsch, Wolfram
 
 

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