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Piraterie im mittelalterlichen Europa. Wahrnehmung und Darstellung maritimer Offensivhandlungen zwischen legitimem Seekrieg und illegitimem Seeraub.

Subject Area Medieval History
Term from 2009 to 2015
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 115240795
 
Final Report Year 2014

Final Report Abstract

Ziel des Projekts war es, Piraterie als kulturelles Konstrukt zu analysieren. Die Grenzen des Erlaubten waren im Mittelalter wie auch in Antike und Früher Neuzeit nicht klar bestimmt. Das Wortfeld „Piraterie“ hat eine doppelte Funktion: Es beschreibt ein historisch fassbares Handeln („maritime Offensivhandlungen“), bewertet es jedoch zugleich als illegitimen „Seeraub“ und setzt es in Gegensatz zum legitimen „Seekrieg“. Aktuelle kulturwissenschaftliche Ansätze der jüngeren Kriegsgeschichtsforschung aufgreifend ging das Projekt davon aus, dass die im historischen Quellenmaterial transportieren Differenzierungen zwischen erlaubten und unerlaubten maritimen Offensivhandlungen nicht auf allgemein verbindlichen Rechtskriterien basierten, sondern kulturell bestimmt waren. Unter Berücksichtigung mentalitäts- und wahrnehmungsgeschichtlicher Betrachtungsweisen wird gezeigt, dass der Begriff „Piraterie“ und das zu ihm gehörige Wortfeld vor allem der Konstruktion topischer Feindbilder dienten. Diese waren Teil von Legitimations- und Delegitimationsstrategien und hatten die Funktion, maritime Aktivitäten potentieller Konkurrenten und Gegner als feindliche und illegale räuberische Gewalthandlungen zu bewerten und moralisch zu disqualifizieren, während eigene Offensivtätigkeiten zur See als Akte legitimer Kriegsführung verstanden und dargestellt wurden. Die Projektarbeiten konzentrierten sich daher insbesondere auf die Erfassung und Analyse der Terminologien, die in einschlägigen historiographischen, hagiographischen, juristischen und literarischen Texten zur Bezeichnung diverser maritimer Offensivhandlungen angewandt werden, sowie deren positiv oder negativ konnotierte Kontextualisierung in den jeweiligen Quellen. Dabei lag ein Fokus auf der Erforschung stereotyper Fremd- und Feinbilder. Diese wurden vor allem im Hinblick auf ihre gesellschaftlichen Funktionen sowie ihre Instrumentalisierung durch die an maritimen Auseinandersetzungen beteiligten Konfliktparteien analysiert. Es wurde gefragt, wie Auto- und Heterostereotype entwickelt wurden, auf welchen Voraussetzungen sie aufbauten, wann sie zum Einsatz kamen, welchen Zweck sie je nach Kontext ihrer Verwendung erfüllten und welche Funktion die Ausgrenzung der Piraten als räumlich nicht fassbarer, aus der Rechtsgemeinschaft auszustoßender „Universalfeind“ für die Konstruktion von Identität und Alterität hatte. Entgegen der ursprünglichen Projektanlage hat es sich aus methodischen und arbeitstechnischen Gründen als sinnvoll erwiesen, die geplante beispielorientierte Analyse vierer gleichwertig nebeneinander stehender Themenkomplexe zum Phänomen der Piraterie im mittelalterlichen Europa aufzugeben. Stattdessen konzentrierten sich die Untersuchungen zum Zwecke der Entwicklung methodisch valider und aussagekräftiger Analysekategorien, Fragestellungen und Zielsetzungen auf die systematische und umfassende Auswertung eines der vier Schwerpunkte. Dabei sprachen mehrere Argumente dafür, die maritimen Aktivitäten der sogenannten ‚Vitalienbrüder‘ im spätmittelalterlichen Ost- und Nordseeraum zum Hauptgegenstand der Projektarbeiten zu machen. In einem abschließenden zweiten Schritt werden die Ergebnisse, die aus der grundlegenden Bearbeitung des Vitalienser-Phänomens gewonnen wurden, auf der Basis repräsentativer Fallbeispiele von ‚Seeräuberei‘ aus anderen mittelalterlichen Regionen und Zeitstellungen in einen transkulturell-komparatistischen Kontext gestellt und hinsichtlich ihrer Aussagefähigkeit für weitere Erscheinungsformen von Piraterie im vormodernen Europa geprüft. Die Vergleichsfälle sind dabei drei weiteren Referenzfeldern entnommen. Zu diesen gehören die vom 8. bis ins 11. Jahrhundert andauernden ‚Wikingerzüge‘ ins (west)fränkische Reich, die Kaperschifffahrt im Bereich des Ärmelkanals während des Hundertjährigen Kriegs und das bis in die Neuzeit reichende christlich-muslimische Korsarenwesen sowie andere Erscheinungsformen von Piraterie im mittelalterlichen Mittelmeerraum. Die nachträglichen Veränderungen im Arbeitsplan, die späte Möglichkeit zur grundlegenden Auswertung norddeutscher Archivbestände und die für die Aktualität des Projekts notwendige Berücksichtigung der jüngsten Forschungen zum Seeraub im mittelalterlichen Mittelmeerraum haben dazu geführt, dass der ursprünglich geplante Projektabschluss sich über die eigentliche Laufzeit hinaus verzögert.

 
 

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