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Dr. Wilhelm Harster und der Münchner Distanztäter-Prozess 1967. Eine Juristenkarriere im "Dritten Reich" und in der Bundesrebublik

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2009 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 119255518
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Am 24. Februar 1967 verurteilte das Münchner Landgericht Wilhelm Harster (1904-1995) wegen Beihilfe zum Mord in 82 854 Fällen zu fünfzehn Jahren Haft. Als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes war er von 1941 bis 1943 in leitender Position mitverantwortlich für die Deportation eines Großteils der niederländischen Juden. 1956 erlangte er eine Beamtenstelle im bayerischen Innenministerium, trat jedoch 1963 im Zuge des gegen ihn anhängigen Verfahrens in den vorzeitigen Ruhestand. Mitangeklagt wa-ren der Jurist Wilhelm Zoepf, der Harster ehemals direkt unterstellte Leiter des Den Haager ‚Judenreferates‘ IV B4 sowie die frühere Polizeiangestellte Gertrud Slottke. Diese wurden zu neun, beziehungsweise fünf Jahren Haft verurteilt. Dieser Prozess vor dem Münchner Landgericht steht im Mittelpunkt der Studie, die das Verfahren im Kontext des justiziellen, gesellschaftlichen und politischen Umgangs in der BRD mit der nationalsozialistischen Vergangenheit untersucht. Das Verfahren, in dem erstmals Vertreter einer mittleren bis höheren NS-Funktionselite im Zusammenhang mit der Ermordung der europäischen Juden von einem bundesdeutschen Gericht verurteilt wurden, erwies sich als wegweisend für alle Folgeverfahren gegen Distanztäter. Im Zentrum des Verfahrens stand die Problematik, nachzuweisen, dass die Beschuldigten das wahre Los der deportierten Juden gekannt hatten. Mit dieser Frage nach dem Wissen um den Massenmord griff das von großer nationaler und internationaler Aufmerksamkeit begleitete Verfahren weit in einen gesellschaftspolitischen, auseinandersetzungsgeschichtlichen Raum aus. Dieser Entwicklungsstrang wird ebenso detailliert nachgezeichnet wie Harster berufliche und gesellschaftliche Reintegration in die BRD. Erkenntnisse um die ‚Vergangenheitspolitik‘ der 50er Jahre konnten vertieft werden. Die Quellenbestände zeigen eine einzigartige Kooperation zwischen deutscher Strafverfol-gungsbehörde und niederländischen Historikern: Das Verfahren stand gleichsam unter niederländischer wissenschaftlicher Betreuung. Der Nachweis des Wissens um die Vernichtung der Juden gelang im Rahmen dieser Zusammenarbeit mit nicht zu unterschätzenden Rückwirkungen auf das deutsch niederländische Verhältnis. Auch diese Entwicklungslinie ist in der Untersuchung herausgearbeitet worden, die 2012 unter dem Titel „Schreibtischtäter vor Gericht. Das Verfahren vor dem Münchner Landgericht wegen der Deportation der niederländischen Juden (1959-1967)“ beim Verlag Ferdinand Schöningh erschien.

 
 

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