Zur Rolle sozialer Kategorisierung beim Umgang von Laien mit fragiler und konfligierender wissenschaftlicher Evidenz im Kontext des Internet
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im vorangehendem Projekt wurde der Frage nachgegangen, wie Laien fragile und konfligierende wissenschaftliche Informationen im Internet verarbeiten. Aus Sicht der sozialpsychologischen Identitätsforschung wurde vermutet, dass Laien sich dabei auf ihre sozialen Selbstkategorisierungen stützen. Daher sollten sowohl die negativen als auch die positiven Wirkungen erhöhter Salienz der (sozialer) Selbstkategorisierung auf den Umgang mit fragiler und konfligierender wissenschaftlicher Evidenz untersucht werden. Daran anknüpfend wurde der Frage nachgegangen, ob negative Effekte der Selbstkategorisierung durch eine übergeordnete Identität konstruktiv gewendet werden. Aufbauend auf der theoretischen Integration von Forschungen zu sozialer Selbstkategorisierung und zur Elaboration von sozialen und epistemischen Konflikten wurde eine Experimentalserie durchgeführt, die empirische Antworten auf die aufgeworfenen Forschungsfragen liefern sollte. Im speziell dafür entwickelten Untersuchungsparadigma kategorisierten sich die teilnehmenden Probanden zunächst entweder als Befürworter oder Gegner des Boxsports bzw. von künstlichen Vitamin-C-Präparaten und besuchten anschließend eine fingierte populärwissenschaftliche Internetseite zum entsprechenden Thema. Hier wurden sie mit widersprüchlichen wissenschaftlichen Evidenzen konfrontiert, indem ihnen jeweils drei Pro- und drei Contra-Studienzusammenfassungen zur Thematik vorgestellt wurden. Schließlich wurde erhoben, ob und in welcher Weise saliente Selbstkategorisierungen Einfluss auf die Informationsverarbeitung der Probanden nahmen. Als positive Wirkung zeigte sich, dass eine erhöhte Salienz der Selbstkategorisierung das wissenschaftliche Interesse der Probanden und ihre Zuwendung zur Wissenschaft steigerte. Als negative Wirkung der Selbstkategorisierung konnten hingegen starke Intergruppenverzerrungen zugunsten der Eigengruppe bei der Bewertung der wissenschaftlichen Evidenzen nachgewiesen werden. Die wünschenswerte Steigerung des wissenschaftlichen Interesses und des Engagements bei der Beschäftigung mit der wissenschaftlichen Kontroverse ging somit mit einer epistemologisch unerwünschten Konfliktelaboration einher. Dieser einseitigen Elaboration konnte jedoch erfolgreich durch die zusätzliche Betonung einer übergeordneten Identität entgegengewirkt werden. Die durch die Selbstkategorisierung gesteigerte Wettbewerbsorientierung (inkl. Eigengruppenbevorzugung) beim Umgang mit wissenschaftlicher Evidenz konnte durch die Aktivierung einer übergeordneten Identität gezähmt bzw. diszipliniert und teilweise sogar in produktive Bahnen geleitet werden (z.B. gesteigertes Interesse an und Offenheit für die Befunde der früheren Fremdgruppe, insgesamt tiefere kognitive Elaboration der Evidenzen). Insgesamt stehen die vorliegenden Befunde im Einklang mit sozialpsychologischen Rekategorisierungstheorien (z.B. „common ingroup identity model“) und lassen sich im Sinne einer Konstellation der antagonistischen Kooperation interpretieren (d.h. Antagonismus auf der Ebene der ursprünglichen Eigengruppen-Fremdgruppen-Kategorisierung im Verbund mit Kooperation auf der Ebene der übergeordneten Identität.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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The role of selfcategorization in laypersons' understanding of scientific evidence. Konferenz „Public Understanding and Public Engagement with Science“, New York City, New York, Vereinigte Staaten von Amerika, 29.06.2011
Borzikowsky, C., Laurus, R., Simon, B. & Wollschläger, D.