Analyse der frühembryonalen Entwicklung des Gehirns in Drosophila melanogaster
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Klärung der Entstehung von neuraler Zelldiversität im Gehirn, dem Organ mit dem höchsten Grad an struktureller und funktioneller Komplexität, ist eine der großen Herausforderungen in der Entwicklungsbiologie. Im Modellsystem Drosophila konnten wir ein komplexes regulatorisches Netzwerk aus evolutiv konservierten Transkriptionsfaktoren entschlüsseln, das die Musterbildung der frühembryonalen Gehirnanlage in dorsoventraler (DV) Körperachse steuert. Cephale Lückengene (u.a. empty spiracles) haben dabei zentralen Einfluss auf die DV Musterbildung der Gehirnanlage, indem sie die Expression der DV Gene (vnd, Nkx6, ind, msh) kontrollieren. Umgekehrt steuern DV Gene die Aktivität von Lückengenen. Unsere Daten demonstrieren, dass Kreuzinhibition zwischen Homöodomäne-Proteinen essentiell ist für die Etablierung und Aufrechterhaltung diskreter DV Genexpressionsdomänen, und die Determination der individuellen Identität der daraus hervorgehenden Stammzellen (Neuroblasten). Das Segmentpolaritätsgen engrailed agiert in diesem genregulatorischen Netzwerk als negativer oder positiver transkriptioneller Regulator, abhängig vom jeweiligen genetischen und segmentalen Kontext. Ferner fanden wir, dass die Aktivität des Epidermal growth factor receptor (EGFR) im Neuroektoderm des Gehirns die Expression aller DV Gene steuert. Die Aktivierung des EGFR hängt von der segment-spezifischen Verteilung aktivierender und inhibierender Liganden ab, deren Expression wiederum durch DV Gene reguliert wird. Wir konnten zeigen, dass EGFR-Signal die Bildung von Gehirnneuroblasten fördert, indem es die genaue Anzahl der neuroektodermalen Vorläuferzellen kontrolliert, ihr Überleben sichert, und proneurale Genexpression in diesen induziert. In einem weiteren Teilprojekt konnten wir die neuroektodermale Herkunft der Neuroblasten der Pilzkörper (PKBN) klären, und zeigen, dass jeder PKNB einen individuellen Zellstammbaum aus intrinsischen (Kenyonzellen) und nicht-intrinsischen Neuronen bildet, die in definierten Zeitfenstern entstehen. Jeder PKNB-Zellstammbaum beteiligt sich in zeitlich-räumlich spezifischer Weise am Aufbau des embryonalen Pilzkörpers. In den PKNB zeigen wir, dass die kortikal lokalisierte Proteinkinase Mushroom bodies tiny (Mbt) und das für einen evolutiv konservierten Transkriptionsfaktor codierende retinal homeobox (rx) essenziell sind für die Kontrolle von Wachstum und Proliferation, sowie für das Überleben der PKNB. In einem weiteren Teilprojekt wurde die zeitlich-räumliche Entwicklung der Neuroblasten in den gnathalen Kopfsegmenten erfasst, und alle Neuroblasten mittels molekularer Marker individuell adressiert. Wir zeigen, dass segmentale Unterschiede im Neuroblastenmuster durch Unterschiede in der Größe der neuroektodermalen Anlage bedingt sind, und teilweise durch die vom Hox-Gen deformed vermittelte Inhibition der Bildung bestimmter Neuroblasten und die Induktion von programmierten Zelltod. Ebenso beeinflussen segmentale Modifikationen in der Aktivität dorsoventraler und proneuraler Gene das gnathale Neuroblastenmuster. Mit den Daten dieser Studie ist nun erstmalig der vollständige Besatz an Stammzellen im CNS eines komplexen Tieres bekannt. Der Vergleich dieser Daten mit den Rumpfsegmenten und Gehirn ermöglichte die Identifikation seriell (segmental) homologer Neuroblasten nicht nur in den gnathalen Neuromeren, sondern auch in den posterioren Gehirnneuromeren (Trito-, Deutocerebum), jedoch nicht im anterioren Gehirn (Protocerebrum).