Franzosen, Deutsche, Bürger der Zukunft: Debatten über die Erziehung der Jugend in Deutschland und Frankreich, ca. 1945-1970
Zusammenfassung der Projektergebnisse
„Erziehung“ war eines der großen Themen, mit denen sich die europäischen Gesellschaften nach Kriegsende intensiv auseinander setzten. Der gesellschaftliche Wandel der 1950er und 1960er Jahre ließ die Diskussionen um die Frage, wie man Jugendliche zu Bürgern der Zukunft formen könne und solle, immer wieder mit aller Schärfe aufflammen. Im Mittelpunkt des Projektes steht der Wandel von Erziehungsidealen und -praktiken in (West-)Deutschland und Frankreich zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den späten 1970er Jahren. Debatten über Erziehung, insbesondere über die Erziehung der Jugend, waren in diesem Zeitraum stets auch Vergewisserungen über das Selbstverständnis der deutschen bzw. französischen Gesellschaft. In ihnen reflektierten Erzieher und Intellektuelle, Politiker und Medien über das Verhältnis von Autorität und Demokratie, über den Umgang mit der Vergangenheit und das Ideal des Bürgers der Zukunft. Die Erziehung, so schien es, müsse eine Antwort geben auf die als krisenhaft empfundene Gegenwart: auf die Auswirkungen von Konsum- und Mediengesellschaft einerseits, auf die Folgen von Kriegs- und Diktaturerfahrungen andererseits. Eine Analyse von Erziehungsdebatten, insbesondere mit Blick auf die Jugend, bietet damit einen Einblick in grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen der Nachkriegszeit. Im Zentrum des Projektes stehen zunächst Diskurse über Erziehung, die Frage nach Normen, Einstellungen und ihrem Wandel, nach den Deutungen der Gegenwart und Zukunftsvisionen, die diesen Diskussionen zugrunde lagen, nach der Art und der Entwicklung der Konfliktlinien. Mit der Untersuchung von Erziehungsdebatten soll ein Einblick in zentrale Aspekte der „Ideenlandschaft“ europäischer Nachkriegsgesellschaften gewonnen werden. Der Blick richtet sich dabei nicht auf eine enge Gruppe von Experten, sondern auf das ganze Spektrum der an diesen Diskussionen beteiligten Öffentlichkeit, und damit auf Lehrer ebenso wie auf Vertreter von Jugendverbänden und Kirchen, Eltern und Intellektuelle, wissenschaftlich arbeitende Pädagogen ebenso wie Journalisten und nicht zuletzt Politiker. Die Untersuchung wird darüber hinaus auf verschiedenen Ebenen nach Handlungsoptionen und Umsetzungen fragen. Neben der Ebene politischer Entscheidungsprozesse (etwa im Hinblick auf die Jugendschutzgesetzgebung, auf die Einführung der Koedukation im Schulbereich, auf zentrale Vorgaben zur Sexualerziehung in und außerhalb der Schule, auf staatliche Zielformulierungen zur staatsbürgerlichen Erziehung) sind hier in konkreten Aspekten „Tiefenbohrungen“ vorzunehmen und nach Alltagswandel vor allem in den drei Bereichen Schule, Jugendverbänden und Familie zu fragen. Das Projekt versteht sich mit diesem Zuschnitt als Beitrag zur vergleichenden Zeitgeschichte, zur Erklärung der Epoche nach 1945, zu Fragen von Kontinuität und Wandel, Konvergenz und Divergenz, Parallelen und nationalen Eigenheiten in der europäischen Nachkriegsgeschichte.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Jugend in der europäischen Zeitgeschichte – nationale Historiographien und transnationale Perspektiven, in: Neue politische Literatur 55 (2010), S. 421-446
Sonja Levsen