Neue Horizonte: Erzähltexte des 17. Jahrhunderts und der Roman als neues Genre
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt setzte sich zum Ziel, die Bedeutung der englischen Restaurationsphase (1660-1709) für die Entwicklung der narrativen Prosafiktionen anhand einer umfassenden Untersuchung sowohl der paratextuellen Poetiken als auch der formalen Aspekte einer breiten Auswahl der überlieferten Texte neu zu definieren. Daneben wollte die Untersuchung auch weitgehend vernachlässigtes Primärmaterial aus dieser Epoche einer neuen Lektüre durch die literaturwissenschaftliche Profession anbieten. Die abgeschlossene Untersuchung hat in drei Bereichen Ergebnisse hervorgebracht. Zum ersten entwickelt die Arbeit auf einem theoretisch-methodischen Rahmen, der auf Veröffentlichungen von Jacques Derrida und M.M. Bakhtin zur Thematik der Genredynamik aufbaut, ein Herangehensmodell an die komplexe Frage nach der Entstehung neuer Gattungsmodelle, das vor allem aus der breiten Lektüre auch nicht-kanonischer Texte das antizipatorische Verhalten einzelner literarischer Formen untersucht. Zum zweiten zeigt die Untersuchung, inwieweit die teils sehr ausführlichen Paratexte der Restaurationszeit ein Korrektiv zu den weitgehend auf lyrische und dramatische Formen konzentrierten offiziellen Poetiken der Zeit darstellten. Der analysierte Textkorpus zu Prosafiktionen demonstriert dabei anschaulich, wie wenig Konsens über die Grundparameter dieser neuen Literaturform bestand. Themen wie Realismus, Alltagssprache oder Rationalismus nehmen einen zentralen Raum ein, liefern aber jeweils für sich keine umfassende generische Identität. Zum dritten zeigt die Studie, inwieweit Restaurationsprosa bereits die formalen Merkmale des späteren Romans zu erbringen imstande war. Die Lektüre von gut 200 Prosafiktionen ergab, dass zwar in verschiedenen formalen Bereichen der Standard des Romans aus dem achtzehnten Jahrhundert mehr oder weniger äquivalent vorliegt, dass aber kein einzelner Text existiert, der in allen Aspekten der historischen Gattungsentwicklung voraus wäre. Dennoch lässt sich konstatieren, dass die große Anzahl der Texte in ihrer Gänze den Prozess des generischen Wandels aktiv vorantrieb. Die Studie unterstreicht somit nicht nur die Bedeutung des späten siebzehnten Jahrhunderts für die Entwicklung des englischen Romans, sie stellt zudem ein methodisch innovatives Konzept für die Untersuchung von generischen Wandlungsprozessen vor, das potentiell fächerübergreifend Anwendung finden kann.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Narrative Developments from Chaucer to Defoe. New York: Routledge, 2011
Bayer, Gerd, and Ebbe Klitgård, ed.
- “Early Modern Prose Fiction and the Place of Poetics.” Anglia 129.3/4 (2011): 362–77
Bayer, Gerd
- “Crusoe’s Empire.” Critical Insights: Cultural Encounters. Ed. Nicholas Birns. Pasadena: Salem, 2012. 107–20
Bayer, Gerd
- “Negotiating Ethnic Difference in Restoration Travel Fiction.” Arcadia 47.1 (2012): 34–53
Bayer, Gerd