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Die Rezeption zeitgenössischer deutschsprachiger Theaterliteratur in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer

Fachliche Zuordnung Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Förderung Förderung von 2005 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 14069120
 
Erstellungsjahr 2010

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Über 35 Jahre hat die deutsche Dramatik nicht nur das französische Theater, sondern auch das künstlerische Selbstverständnis seiner Protagonisten maßgeblich beeinflusst. Seit dem Beginn der 1990er Jahre scheint sich diese Situation grundlegend geändert zu haben. Zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren fällt es immer schwerer, ihren Platz auf französischen Bühnen zu finden. Ausgehend von diesen Beobachtungen hat sich das Forschungsprojekt die systematische Untersuchung der Rezeptionsgeschichte deutschsprachiger zeitgenössischer Theaterautoren in Frankreich nach 1945 zum Ziel gesetzt, zu der bisher keine umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen. Die methodische Grundlage der Untersuchung bildet Pierre Bourdieus Theorie des literarischen Feldes. Ausgehend von den konkreten kulturpolitischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen, unter denen Theater in Frankreich und Deutschland arbeiten, wurde die spezifische Stellung deutschsprachiger Bühnentexte im französischen champ littéraire beleuchtet und in einen konkreten Zusammenhang zu den kulturpolitischen Veränderungen in Frankreich nach 1945 gestellt. So ist das steigende Interesse an deutschsprachigen Autoren vor allem den am Ende der 1940er Jahre staatlich forcierten Bemühungen um eine décentralisation culturelle des bis dahin fast gänzlich auf Paris konzentrierten kulturellen Lebens zuzuschreiben, die sich unter dem ersten französischen Kulturminister André Malraux in den 1960er Jahren schnell in eine décentralisation théâtrale verwandelte. Der infolge der Entstehung eines öffentlichen Theatersektors plötzlich ansteigende Bedarf an gesellschaftkritischen und politischen Stücken ließ die Theatermacher zunehmend auf deutsche Autoren zurückgreifen. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die „Entdeckung“ Bertolt Brechts in den 1950er Jahren sowie seine Positionierung im französischen champ intellectuel durch Roland Barthes und die Zeitschrift Théâtre Populaire. Im Spannungsfeld von Institutionalisierung, Intellektualisierung und Politisierung des Theaters konnte die deutsche Dramatik in den 1970er und 80er Jahren im Zuge der generativen Ausdifferenzierungsprozesse im Feld ihre wichtige Position in Frankreich weiter ausbauen. Die merkliche Veränderung der Situation in den 1990er Jahren lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen: Zum einen ist insgesamt nach dem Mauerfall ein Einbruch des Interesses der französischen, tradionell politisch links orientierten Intellektuellen festzustellen, das sich – den Regeln der strukturellen Homologie entsprechend – in einer deutlichen Abnahme der Deutschlernerzahlen spiegelt. Darüber hinaus werden aber auch die Einflüsse der europäischen Kulturpolitik zunehmend spürbar, die den (jungen) französischen Theatermachern auch den Blick für die Dramatik anderer Länder öffnet und das ehemals bevorzugte deutsche Theater nun zu einer Option unter vielen werden lässt. Ein radikaler Rückgang an Inszenierungen deutschsprachiger Autoren, wie zunächst angenommen, ist jedoch statistisch nicht auszumachen. So handelt es sich bei der eingangs konstatierten augenscheinlichen Veränderung vielmehr um eine interne Verschiebung im deutschsprachigen Theatersegment, die letztlich wiederum auf Entwicklungen der französischen Kulturpolitik zurückzuführen ist. Angesichts der finanziell immer schwieriger werdenden Situation der Theatermacher konzentrieren sich diese nun lieber auf das Bewährte und Kanonisierte, die Entdeckung neuer Autoren wird allgemein immer schwieriger. Trotz einer „gefühlten” Krise lässt sich sogar ein weiterer leichter Anstieg an Inszenierungen deutschsprachiger Stücke konstatieren, von der allerdings fast ausschließlich Autoren profitieren, die in Frankreich bereits anerkannt sind: neben Bertolt Brecht, Thomas Bernhard und Heiner Müller gehören hierzu auch Autoren wie Frank Wedekind, Arthur Schnitzler und Ödön von Horváth.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Comédie Internationale? In: Die deutsche Bühne. Nr. 9/2006. S. 48
    Nicole Colin
  • Peter W. Marx: Max Reinhardt: vom bürgerlichen Theater zur metropolitanen Kultur. Tübingen: Francke Verlag 2006. In: www.theaterforschung.de
    Nicole Colin
  • Von der Handke- zur Bozonnet-Affaire: Streit um die Comédie-Française. In: Lendemains. Vergleichende Frankreichstudien, Nr. 1/2006. S. 201-211
    Nicole Colin
  • Der Prinz von Saint-Germain-des-Prés – Boris Vian und seine Zeit. In: Architektur und Kunstführer Paris. Köln: Könemann-Verlag 2007
    Nicole Colin
  • Die Comédie-Française: Vom Hoftheater zum Staatstheater. In: Architektur und Kunstführer Paris. Köln: Könemann-Verlag 2007
    Nicole Colin
  • Die deutsche Bühne Nr. 6/2007. S. 28-3. [Die niederländische Theaterszene]
    Nicole Colin
  • Die Unbeheimateten. Jüdische Stimmen im Theater Elfriede Jelineks. In: Elfriede Jelinek - TEXT+KRITIK. Zeitschrift für Literatur, hg. v. Heinz Ludwig Arnold, Heft 117 (2007). S. 48-61
    Nicole Colin
  • Die Vorstadtdinosaurier. In: Die deutsche Bühne Nr. 7/2007. S. 48-49. [Generationswechsel in der französischen Theaterszene]
    Nicole Colin
  • Text und Bühne: Das deutsche Regietheater am Beispiel Elfriede Jelinek. In: Le texte et l’idée. Nr. 22. Nancy 2007. S. 109-124
    Nicole Colin
  • Die Wahl der Waffen. Peter Weiss’ Viet Nam Diskurs. In: Der Deutschunterricht, 1/2008. S. 33-42
    Nicole Colin
  • La grande idée. In: Die deutsche Bühne, Nr. 9/2008. [Schultheater in Frankreich]
    Nicole Colin
  • La traduction : écriture en décalage ? Le processus de la réception des œuvres dramatiques étrangères à l’exemple de Bertolt Brecht en France. In: Hilda Inderwildi, Catherine Mazellier (Hg.): Écritures en décalage. Théâtre contemporain de langue allemande. Paris: Editions L’Harmattan 2008. S. 221-230
    Nicole Colin
  • Mensch oder Schwein? Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin auf Besuch in Hamburg und Paris. In: Nicole Colin, Beatrice de Graaf, Jacco Pekelder, Joachim Umlauf (Hg.): Der „Deutsche Herbst“ und die RAF in Politik, Medien und Kunst. Nationale und internationale Perspektiven. Bielefeld: transcript 2008. S. 67-82
    Nicole Colin
  • Am anderen Ort. In: Die deutsche Bühne, Nr. 10/2009 [Heiner Müller in Frankreich]
    Nicole Colin
 
 

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