FOR 655: Priorisierung in der Medizin: Eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
Geisteswissenschaften
Medizin
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Vornehmliches Ziel war es, elementaren Fragen der Priorisierung disziplinübergreifend mit theoretischen sowie empirischen Analysen nachzugehen und dabei (a) Priorisierungsvorschläge auszuarbeiten, (b) Hintergründe von Stakeholderpräferenzen zu untersuchen und (c) das Verständnis normativer Dimensionen im Lichte der Stakeholderpräferenzen zu erweitern. Ebene (a): Als praxisrelevantes Ergebnis ist die in Projekt B4 erarbeitete „Priorisierungsleitlinie“ in der kardiologischen Anschlussrehabilitation als Blaupause hervorzuheben. Darüber hinaus wurde das schwedische Priorisierungsmodell als zielführend identifiziert. Aus einer Bürgerkonferenz ging ein Bürgervotum hervor. Projekt B1 befasste sich mit Änderungen der Nierenallokationsregeln und entwickelte ein Simulationsprogramm, das die Auswirkungen auf Wartelisten und Organverteilung abschätzt. Mittels repräsentativer Befragungen konnten die geltenden Priorisierungsregeln und vorgeschlagene Änderungen analysiert werden. Ebene (b): Projekt A1 untersuchte Präferenzen in drei Arbeitsschwerpunkten. (1) Die Auswertung der repräsentativen Bevölkerungsbefragung analysierte Präferenzen der Allgemeinbevölkerung. (2) Fokusgruppen identifizierten Argumente zu kontroversen Kriterien. (3) Im Kontext der Onkologie konnte ein thematischer Schwerpunkt gesetzt werden. Projekt B3/5 untersuchte mittels Fokusgruppen, inwieweit sich Alter, Selbstverantwortung und Evidenzbasierung aus Sicht von Laien und Experten als Priorisierungskriterien in unterschiedlichen Kontexten eignen. Anhand von World-Cafés wurde untersucht, inwieweit ein diskursiver Prozess dazu beitragen kann, dass komplexe Problemstellungen von Laien beurteilt werden können. Projekt C5 analysierte mit Discrete-Choice-Experimenten, dass Bürger eine Reduktion des Todesrisikos bei identifizierbaren Leben höher einschätzen und wie die Zahlungsbereitschaft mit dem Ausgangsrisiko zusammenhängt. Zudem wurde ein positiver Optionswert für neue Therapien, der zu risikofreudigem Verhalten veranlasst und die Nachfrage nach lebensverlängernden Therapien erhöht, identifiziert. Ebene (c): Projekt C1 analysierte wesentliche Kriterien einschließlich empirischer Ergebnisse in rechtlichen Einzelfragen. Unterschiede zwischen Verfassungs-, Sozial-, Zivil- und Strafrecht wurden konkretisiert. Die Analyse internationaler Erfahrungen legte Funktionsweisen von Priorisierung und die Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung Grundlagen für die Modellierung eines verfassungsrechtlich zulässigen Maßstabes offen. Projekt C2 kritisiert mittels grundlagentheoretischer Untersuchungen verbreitete Voraussetzungen der "empirischen Wende" in der Priorisierungsdebatte, insbesondere die Vorstellungen, (1) dass Priorisierungsurteile Resultate einer Gewichtung von mehreren Kriterien seien, (2) dass sich die Gewichtungsfrage mit empirischen Methoden lösen lasse, und (3) dass in solchen Urteilen eine Abwägung ("trade-off") zwischen Effizienz und Fairness vorgenommen werde. Projekt C3 untersuchte ethische Aspekte von Effizienz als Allokationskriterium – insb. (1) die Normativität und Rechtfertigung von Nutzenmaßen, (2) das normative Spannungsverhältnis zwischen dem Postulat eines Effizienzkriteriums und der rule of rescue, (3) die Analyse einer nutzenunabhängigen absoluten Kostengrenze und (4) Argumente, mit denen sich eine Effizienzmaximierung über Indikations- und Personengrenzen rechtfertigen lässt. Zudem wurde (5) ein deliberativer Entscheidungsfindungsansatz entwickelt. Projekt C4 analysierte einerseits Allokationsregeln und Kriterien theoretisch axiomatisch und diskutierte diese ethisch. Anderseits wurden Experimente zu Verteilungsentscheidungen durchgeführt und einzelne Fragen aus der Repräsentativbefragung mit Projekt A1 untersucht. Die von den Teilnehmenden angewandten Allokationsregeln waren deutlich komplexer, als viele in der Theorie vorgeschlagene Prinzipien. Dennoch zeigten Befragte ein hohes Maß an Konsistenz bei Ihren Entscheidungen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2011) Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung. Eine empirische Untersuchung über die Verteilungspräferenzen medizinischer Laien (Dissertation)
Winkelhage
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(2011) Medical Decision Making: A Health Economic Primer, Berlin: Springer
Felder, S., Mayrhofer, Th.
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(2011) Priorisierte Medizin. Ausweg oder Sackgasse der Gesundheitsgesellschaft. Wiesbaden: Gabler Verlag
Diederich, A., Koch, C., Kray, R., Sibbel, R. (Hrsg.)
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Soziale Gesundheitsgerechtigkeit. Sparen, umverteilen, vorsorgen?, Berlin: Wagenbach 2011. (Auch erschienen als Band 1249 in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, 2012)
Huster, S.
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(2012). Distributing Medical Resources – An Application of Cooperative Bargaining Theory to an Allocation Problem in Medicine. Frankfurt a. M.: Peter Lang
Köckeritz, A.
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(2014) Die Lübecker Bürgerkonferenz zur Priorisierung in der medizinischen Versorgung: "Was ist uns wichtig und wie können wir darüber entscheiden?". Lage: Jacobs Verlag
Stumpf, S., Raspe, H. (Hrsg.)
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(2014) Priorisierung in der Medizin – Erfahrungen und Perspektiven, Berlin/Heidelberg: Springer, Diss. Köln
Schmitz-Luhn, B.
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(2014) Priorisierung in der medizinischen Versorgung am Beispiel der kardiologischen Anschlussrehabilitation: Problemstellungen – Modellentwicklung – Lösungen. Lage: Jacobs Verlag
Raspe, H., Stumpf, S., Brinkmeier, K.
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(2015) Nonaggregationismus. Grundlagen der Allokationsethik, Münster: mentis (ethica, Band 29). 314 S. - 9783957430151
Lübbe, W.
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Strafrechtliche Grenzen der Rationierung medizinischer Leistungen – Zugleich ein Beitrag zum Dogma vom Höchstwert des menschlichen Lebens und zum „Grundsatz vom Vorrang von Personenwerten vor Sachinteressen“, Berlin: Duncker & Humblot, 2016. Diss. Uni Heidelberg. 381 S. - 978-3-428-14465-5
Streng-Baunemann, A. (vormals Streng)