SFB 700: Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit - Neue Formen des Regierens?
Geisteswissenschaften
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Seit über 20 Jahren führt Somalia die Listen „zerfallener Staaten“ an. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass „traditionelle“ Klans und ihre chiefs im Nordwesten des Landes einen Quasi-Staat, Somaliland, aufbauen konnten. Gleichzeitig würde wohl niemand Deutschland als „zerfallenden Staat“ bezeichnen, auch wenn die Berliner Polizei den Drogenhandel und die illegale Prostitution im Görlitzer Park mittelfristig nicht unter Kontrolle bekommt. Die beiden Beispiele veranschaulichen die zentrale Botschaft des SFB 700: • Räume begrenzter Staatlichkeit gibt es überall auf der Welt, und nicht nur in sogenannten „zerfallen(d)en Staaten“. • Räume begrenzter Staatlichkeit, in denen staatliche Kapazitäten zur Regel(durch)setzung und zur Aufrechterhaltung des legitimen Gewaltmonopols fehlen, sind weder unregierbar, noch unregiert. Es gibt keinen linearen Zusammenhang zwischen staatlicher Durchsetzungsfähigkeit einerseits und der Bereitstellung kollektiver Güter und Dienstleistungen andererseits. Im Gegenteil – Räume begrenzter Staatlichkeit sind in Hinblick auf Governance äußerst heterogen. In den vergangenen 12 Jahren haben 29 Teilprojekte aus der Politikwissenschaft und angrenzenden Disziplinen versucht, die zentrale Frage des SFB 700 zu beantworten: Wie und unter welchen Bedingungen werden Governance-Leistungen in Räumen begrenzter Staatlichkeit erbracht und welche Probleme entstehen dabei? In der ersten Förderperiode standen unsere Kernkonzepte und theoretischen Vorannahmen auf dem Prüfstand. Im Ergebnis einer intensiven Debatte über die Fallstricke des Eurozentrismus definierten wir Governance als institutionalisierte Modi der sozialen Handlungskoordination, die auf die Herstellung und Implementierung verbindlicher Regelungen bzw. auf die Bereitstellung kollektiver Güter abzielen. Diese Definition grenzte Governance von Staat und Staatlichkeit ab. So konnten wir in der zweiten Förderperiode in die historische und räumliche Governance-Vielfalt eintauchen und die lokalen Besonderheiten des Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit erforschen. In der dritten Förderperiode konzentrierten wir uns schließlich darauf, unsere empirischen Befunde zu generalisieren und einfließen zu lassen in eine empirisch gesättigte Theorie des (effektiven und legitimen) Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Im Zentrum dieser Theorie stehen drei Fragen: (1) Unter welchen Bedingungen sind handlungsfähige Akteure motiviert, Governance-Leistungen bereitzustellen? (2) Unter welchen Bedingungen sind diese Leistungen erfolgreich? (3) Unter welchen Bedingungen sind Governance-Beiträge nicht-staatlicher oder externer Akteure normativ legitim? (1) Während viele Akteure (z.B. humanitäre Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und die meisten internationalen Organisationen (IOs)) institutionell darauf ausgerichtet sind, kollektive Güter in Räumen begrenzter Staatlichkeit bereitzustellen, haben andere Akteure keine entsprechende intrinsische Motivation (z.B. Wirtschaftsunternehmen oder Warlords). Wir stellen aber fest, dass solche Akteure dennoch häufig Governance-Leistungen erbringen – sofern das für sie nützlich ist. Eigennützige Akteure engagieren sich für Governance, (a) wenn ein anderer mächtiger Akteur die idealtypische Rolle des Staates übernimmt und entsprechend Druck ausübt (externer „Schatten der Hierarchie“); (b) wenn die Investition in Governance kostengünstiger ist als der „unregierte“ anarchische Zustand; (c) wenn das Engagement für kollektive Güter Legitimitäts- und Reputationsgewinne verspricht; (d) wenn lokale Gemeinschaften, die durch ein hohes Maß an sozialem Vertrauen gut organisiert und handlungsfähig sind, Druck auf den eigennützigen Akteur ausüben. (2) Die Effektivität des Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit hängt gemäß unseren Beobachtungen insbesondere von drei Faktoren ab: (a) Institutionalisierungsgrad des Governance-Arrangements; (b) soziales Vertrauen der Governance-Adressat_innen untereinander; (c) soziale Akzeptanz (empirische Legitimität) der Governance-Akteure und -Institutionen (in den Augen der Betroffenen). Der wichtigste Erfolgsfaktor ist die empirische Legitimität. Zusätzlich braucht erfolgreiche Governance funktional adäquate Institutionen sowie ein hohes Maß an sozialem Vertrauen zur Lösung von Koordinationsproblemen innerhalb eines Governance-Kollektivs. (3) Die Frage der normativen Legitimität von Governance stellt sich insbesondere da, wo Menschen von einer Governance-Leistung auch negativ betroffen sind: wo Lasten verteilt werden und negative Externalitäten entstehen. Kostenträchtige Governance-Beiträge externer und nicht-staatlicher Akteure können normativ legitim sein, sofern sie eine der folgenden Bedingungen erfüllen: Entweder sollten die handelnden Akteure von den Governance-Empfänger_innen im Rahmen fairer und inklusiver Verfahren autorisiert sein, die Governance-Leistung zu erbringen; oder die Leistung selbst sollte dem Schutz, der Einhaltung oder der Institutionalisierung grundlegender Menschenrechte dienen. Diese Bedingungen reflektieren die Werte der Selbstbestimmung und der Menschenrechte, die das Fundament des Regierens sind – in Räumen begrenzter und konsolidierter Staatlichkeit gleichermaßen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2007: Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit, Baden-Baden: Nomos
Risse, Thomas/Lehmkuhl, Ursula (Hrsg.)
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2007: Staatszerfall und Governance, Baden-Baden: Nomos
Beisheim, Marianne/Schuppert, Gunnar Folke (Hrsg.)
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2009: Normative Pluralität ordnen. Rechtsbegriffe, Normenkollisionen und Rule of Law in Kontexten dies- und jenseits des Staates, Baden-Baden: Nomos
Kötter, Matthias/Schuppert, Gunnar Folke (Hrsg.)
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2009: Ordering the Colonial World around the 20th Century: Global and Comparative Perspectives, Comparativ – Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung, 19 (1)
Conrad, Sebastian/Heé, Nadin/Schaper, Ulrike (Hrsg.)
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2009: Weiche Steuerung. Studien zur Steuerung durch diskursive Praktiken, Argumente und Symbole, Baden-Baden: Nomos
Göhler, Gerhard/Höppner, Ulrike/De La Rosa, Sybille (Hrsg.)
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2010: Governance Without a State – Can It Work?, in: Regulation & Governance, 4 (2), 1–22
Börzel, Tanja A./Risse, Thomas
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2011: Governance without a State? Policies and Politics in Areas of Limited Statehood, New York, NY: Columbia University Press
Risse, Thomas (Hrsg.)
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2011: Local Climate Governance in China: Hybrid Actors and Market Mechanisms, Basingstoke: Palgrave Macmillan
Schröder, Miriam
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2012: Koloniale Verhandlungen. Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Herrschaft in Kamerun 1884–1916, Frankfurt/Main: Campus
Schaper, Ulrike
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2012: Koloniales Wissen und imperiale Gewalt. Japanische Herrschaft in Taiwan, 1895–1945, Frankfurt/Main: Campus
Heé, Nadin
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2012: Public Security in the Negotiated State: Policing in Latin America and Beyond, Basingstoke: Palgrave Macmillan
Müller, Markus-Michael
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2012: Vital Negotiations, Protecting Settler’s Health in Colonial Louisiana and South Carolina, 1720–1763, Göttingen: V&R unipress
Stange, Marion
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2013: Business and Governance in South Africa: Racing to the Top?, Basingstoke: Palgrave Macmillan
Börzel, Tanja A./Thauer, Christian R. (Hrsg.)
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2013: No Part of the Mother Country, but Distinct Dominions. Rechtstransfer, Staatsbildung und Governance in England, Massachusetts und South Carolina, 1630–1769, Berlin: LIT
Nagl, Dominik
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2013: Trading Knowledge in a Global Information Society: The Southern Dimension of TRIPS and GATS, Special Issue of Journal für Entwicklungspolitik (JEP), 29 (2)
Eimer, Thomas R./Schüren, Verena (Hrsg.)
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2013: Transnational Companies and Security Governance: Hybrid Practices in a Postcolonial World, Abingdon: Routledge
Hönke, Jana
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2014: Bits and Atoms: Information and Communication Technology in Areas of Limited Statehood, Oxford: Oxford University Press
Livingston, Steven/Walter-Drop, Gregor (Hrsg.)
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2014: External Actors, State-Building and Service Provision in Areas of Limited Statehood, Special Issue of Governance: An International Journal of Policy, Administration and Institutions, 27 (4)
Krasner, D. Stephen/Risse, Thomas (Hrsg.)
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2014: German Colonialism Revisited: African, Asian, and Oceanic Experiences, Ann Arbor: University of Michigan Press
Mühlhahn, Klaus/Berman, Nina/Nganang, Patrice (Hrsg.)
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2014: Justice and Foreign Rule: On International Transitional Administration, Basingstoke: Palgrave Macmillan
Jacob, Daniel
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2014: The Managerial Sources of Corporate Social Responsibility: The Spread of Global Standards, Cambridge: Cambridge University Press
Thauer, Christian R.
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2014: Transnational Partnerships: Effectively Providing for Sustainable Development?, Basingstoke: Palgrave Macmillan
Beisheim, Marianne/Liese, Andrea (Hrsg.)
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2015: Building Security in Post-Conflict States: The Domestic Consequences of Security Sector Reform, New York, NY: Routledge
Schröder, Ursula C./Chappuis, Fairlie (Hrsg.)
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2015: EU Democracy Promotion and the Arab Spring: International Cooperation and Authoritarianism, Basingstoke: Palgrave Macmillan
van Hüllen, Vera
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2015: Governance Transfer by Regional Organizations: Patching Together a Global Script, Basingstoke: Palgrave Macmillan
Börzel, Tanja A./van Hüllen, Vera (Hrsg.)
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2015: Inducing Compliance with International Humanitarian Law: Lessons from the African Great Lakes Region, Cambridge: Cambridge University Press
Krieger, Heike (Hrsg.)
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2015: Internationale Organisationen. Autonomie, Politisierung, interorganisationale Beziehungen und Wandel, PVS – Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 49
da Conceição-Heldt, Eugénia/Koch, Martin/Liese, Andrea (Hrsg.)
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2015: Mittelalterliches Regieren in der Moderne oder Modernes Regieren im Mittelalter?, Baden-Baden: Nomos
Esders, Stefan/Schuppert, Gunnar Folke
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2015: Non-State Justice Institutions and the Law: Decision-Making at the Interface of Tradition, Religion and the State, Basingstoke: Palgrave Macmillan
Kötter, Matthias/Schuppert, Gunnar Folke/Röder, Tilmann J./Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.)
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2015: Politische Legitimität und zerfallene Staatlichkeit, Frankfurt/Main: Campus
Schmelzle, Cord
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2016: Dysfunctional State Institutions, Trust, and Governance in Areas of Limited Statehood, in: Regulation & Governance, 10 (2), 149–160
Börzel, Tanja A./Risse, Thomas
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2016: Remittances and the Use of Formal and Informal Financial Services, in: World Development, Vol. 77, 80–89
Ambrosius, Christian/Cuecuecha, Alfredo
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2016: Up-to-date Information on International Humanitarian Law Issues, Yearbook of International Humanitarian Law 2015, Vol. 18, The Hague: T.M.C. Asser Press
Gill, Terry D./Geiß, Robin/Krieger, Heike/McCormack, Tim/Paulussen, Christophe (Hrsg.)
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2017: A Society of Intervention, Oldenburg: BIS-Verlag
Daxner, Michael
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2017: Latin America and the First World War, Cambridge: Cambridge University Press
Rinke, Stefan
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2017: Normative Fragen von Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit, Baden-Baden: Nomos
Jacob, Daniel/Ladwig, Bernd/Schmelzle, Cord (Hrsg.)
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2017: Rethinking Neo-Institutional Statebuilding: The Knowledge Paradox of International Intervention, Abingdon: Routledge
Finkenbusch, Peter