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Archäologische und palynologische Untersuchungen zum Kulturwandel am Beginn des 1. Jahrtausends n.Chr. in der deserta boiorum (Pannonien)

Antragsteller Professor Dr. Thomas Meier, seit 4/2011
Fachliche Zuordnung Klassische, Provinzialrömische, Christliche und Islamische Archäologie
Förderung Förderung von 2010 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 151635363
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In dem im Jahre 2015 abgeschlossenen Forschungsprojekt wurden in einer Modellregion im westlichen Transdanubien gemeinsam mit ungarischen Kollegen drei kaiserzeitliche Siedlungsplätze untersucht. Die Zusammenarbeit von Palynologie und Archäologie hat sich als bedeutsam für das Verständnis der vor- und frühgeschichtlichen Siedlungs- und Landschaftsentwicklung erwiesen. Erstmals in Transdanubien konnte die Interaktion zwischen einheimischen Siedlungsplätzen und einer römischen Neugründung im Range eines Municipiums vergleichend untersucht werden. In dem hochdynamischen hydrographischen System der ostalpinen Raab erwies es sich als schwierig, aussagekräftige Archive für die pollenanalytischen Untersuchungen zu identifizieren. In einer Paleorinne ließ sich allerdings ein Kern gewinnen, aus dem ein „neolithisches Pollendiagramm“ (ca. 4600-3600 cal. BC) sowie ein „kaiserzeitliches Pollendiagramm“ (ca. 120 cal. BC- 840 cal. AD) elaboriert werden konnte. Personelle Veränderungen auf Seiten der Kooperationspartner machten Modifikationen am archäologischen Arbeitsprogramm notwendig. In größerem Umfang als ursprünglich vorgesehen wurden geoarchäologische Methoden eingesetzt und die Analyse von Altfunden durchgeführt. Dadurch wurde der hohe Grad an Kontinuität hinsichtlich der Lebensweise der einheimischen Bevölkerung während der vorrömischen und römischen Epoche entlang des Gewässersystems von Raab und Marcal deutlich. Hinweise auf eine Siedlungseinöde als Folge der Auseinandersetzungen zwischen Boiern und Dakern – Plinius spricht explizit von einer „deserta“ – in der ausgehenden Eisenzeit waren in der Region zwischen dem Feuchtgebiet des Hanság im Westen und dem Barkony-Gebirge im Osten nicht zu erkennen. Das Fundgut belegt vielmehr eine durchgehende Besiedlung der hochwasserfreien Höhenlagen seit der jüngeren Bronzezeit. Seit dem 1. vorchristlichen Jh. ist ein kontinuierlicher Ackerbau nachzuweisen. Im Zuge der römischen Okkupationsphase, in der 1.H. des 1. Jhs., wurden die Flussübergänge in diesem wichtigen Verbindungskorridor zwischen den Verkehrswegen nach Oberitalien (Bernsteinstrasse) und der Außengrenze des römischen Reiches (Donaulimes) militärisch gesichert. Die zu beobachtende vorübergehende Stagnation der lokalen Landnutzung darf als Ausdruck dieser unruhigen Jahre gesehen werden. Der baldige Abzug der römischen Truppen zur Sicherung der Flussgrenze im Norden, noch während des 1. Jhs., führte offensichtlich zur Wiederherstellung der angestammten Siedlungs- und Kulturverhältnisse. Das privilegierte Municipium zeigt in der mittleren Kaiserzeit eine verzögerte Entwicklung, Münzwirtschaft und Warenzustrom sind nicht mit den prosperierenden Städten entlang der Bernsteinstrasse oder der Limeszone vergleichbar. Die Funde aus den einheimischen Siedlungsplätzen belegen dagegen deren kontinuierliche Nutzung. Der Nachweis von OIivenöl bzw. von Walnüssen geben ebenso wie eine allgemeine Erweiterung des Artenspektrums im Grünlandbereich und die Intensivierung der Weidewirtschaft Hinweise auf eine allmähliche „Romanisierung“. Unmittelbare Auswirkungen der Markomannenkriege lassen sich ebenso wenig erkennen wie die Reichskrise des 3. Jhs. Erst mit dem 4. Jh. zeichnet sich in Mursella eine Angleichung an die, den mittleren Donauraum prägenden Kulturverhältnisse ab. Der Umlauf von Kupferkleingeld steigt dem reichsweiten Trend entsprechend an, die lokale Bevölkerung trägt die dem militärischen Umfeld entstammenden Waffengürtel und die rechteckigen Wohnbauten werden um neue spätantike Bauelemente erweitert (apsidiale Erweiterungen). Nach einer feuchten, mit einer stärken Bewaldung einhergehenden Phase bezeugen die palynologischen Untersuchungen eine dem mitteleuropäischen Landesausbau im frühen Mittelalter vergleichbare Rohdungsphase an der Wende vom 6. zum 7. Jh. Von archäologischer Seite kann hier allein auf einige völkerwanderungszeitliche und awarische Einzelfunde verwiesen werden, deren Repräsentativität sich schwerlich beurteilen lässt. Sieht man von den epigraphischen Belegen für cives des Municipiums Mursella sowie dessen Nennung im Antoninischen Itinerar ab, so ergeben sich aus den bisherigen feldarchäologischen Untersuchungen keine Indizien auf eine entsprechende urbanistische Qualität. Das ordnende Eingreifen der römischen Provinzialverwaltung blieb hier ohne nachhaltige Wirkung. Mit den neu erfassten Siedlungen Bodenhely und Megág-dúlő wurden stattdessen zwei ländliche Vici erfasst, die von den Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen ungestört, von der älteren Eisenzeit bis mindestens an das Ende der Kaiserzeit existierten. Die ‚kulturelle Rückständigkeit’ vieler Pannonier noch zu Beginn des 3. Jhs. beschrieb Cassius Dio (49, 36, 2-3). Durch die neuen Untersuchungen wird dabei deutlich, dass es sich dabei aber keinesfalls um eine territoriale Polarisierung zwischen den naturräumlich benachteiligten Siedlungsräumen der „Altansässigen“ und den begünstigten Landschaftsräumen der „Römer“ handelt, wie es von der ungarischen Forschung diskutiert wird. Im oberpannonischen Untersuchungsgebiet haben beide Lebensweisen in unmittelbarer Nachbarschaft über mindestens 300 Jahre existiert. Erst unter den veränderten Rahmenbedingungen der Spätantike scheint sich die einheimische Bevölkerung zur Aufgabe ihrer angestammten Siedlungsverhältnisse gezwungen gesehen zu haben. Eine stärkere Auseinandersetzung mit den derzeit im mittleren Donauraum immer häufiger nachzuweisenden mehrperiodigen ländlichen Siedlungsplätzen, die sich eben nicht nur in naturräumlich benachteiligten Regionen, sondern auch in der unmittelbaren Limeszone, dem Umland der Provinzhauptstädte oder im „früh romanisierten“ südpannonischen Drau-Save-Gebiet finden, scheint somit eine vielversprechende Forschungsaufgabe.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • A római tájkultúra továbbélése a Marcal és a Rába vidékén. Arrabona 50 (2), 2013, 7-36
    Felix Teichner
  • From Aquileia to Carnuntum: Geographical Mobility along the Amber Road. Veleia 30, 2013, 45-70
    Felix Teichner
  • Zur Nachhaltigkeit römischer Raumordung in Pannonien am Beispiel einer Siedlungskammer an Marcal und Raab. In: Region im Umbruch – Der obere Donauraum 50 v. bis 50 n. Chr. - V. Symposium RiU. (Berlin 2015) 313-316
    Felix Teichner / Heike Schneider
 
 

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