Detailseite
Projekt Druckansicht

Die Politisierung Europas. Eine vergleichende Untersuchung elektoraler und nicht-elektoraler Partizipation und Mobilisierung zum europäischen Integrationsprozess

Fachliche Zuordnung Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2009 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 156759463
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersuchte eine zentrale Problemstellung der politikwissenschaftlichen Europaforschung und fragte nach den Ursachen, Formen, dem Ausmaß und den Folgen der Politisierung des europäischen Integrationsprozesses. Im Mittelpunkt der Analyse stand die empirische Überprüfung und theoretische Fundierung der Politisierungsthese, die in den vergangenen Jahren insbesondere in der Theorie des Postfunktionalismus eine zentrale Rolle spielte. Das Projekt führte ein umfangreiches empirisches Arbeitsprogramm durch und erstellte den bislang bei weitem größten Datensatz zur Politisierung des europäischen Integrationsprozesses, der in seiner Form international derzeit einzigartig ist. Die Datenerhebung erstreckte sich auf sechs westeuropäische Länder (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Schweden, Schweiz) und einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren (von 1970 bis 2012). Der Datensatz umfasst die öffentlichen Debatten zu allen wichtigen Integrationsschritten der vergangenen Jahrzehnte, die politischen Konflikte zu Europa in allen nationalen Wahlkämpfen in diesem Zeitraum und die politische Mobilisierung zu Europa in der Protestarena seit Mitte der 1990er Jahre. Dieser Datensatz ermöglichte es dem Projekt, drei Vergleichsperspektiven zur Analyse der Politisierung Europas zu verwenden: eine historischvergleichende, eine international-vergleichende sowie den Vergleich zwischen verschiedenen politischen Arenen. Das Gesamtbild, das sich aus den Befunden ergibt, ist weit weniger eindeutig und kohärent, als dies die postfunktionalistische Integrationstheorie hätte erwarten lassen. Es gibt in den untersuchten Ländern ganz offensichtlich keinen einheitlichen Trend zu einer stärkeren Politisierung des Integrationsprozesses, der sich präzise zeitlich verorten lässt. Statt dessen ist die Entwicklung gekennzeichnet durch ein Muster der punktuellen Politisierung, das durch eine begrenzte Zahl von singulären Ereignissen erzeugt wird, die für kürzere Zeiträume sehr hohe Konfliktniveaus in einzelnen politischen Arenen verursachen. Aufgrund dieser Befunde muss die Politisierungsthese erheblich modifiziert werden. Durch die systematische Überprüfung der in der Literatur diskutierten Kausalmechanismen, die Entdeckung neuer Erklärungsfaktoren und die Nutzung des Konzepts der Konfliktstrukturierung konnte das Projekt zudem ein neues Erklärungsmodell für Politisierungsprozesse in Europa entwickeln. Dieses Erklärungsmodell teilt Grundannahmen der postfunktionalistischen Integrationstheorie, legt aber eine substantielle Erweiterung der Theorie insbesondere um strategische Faktoren nahe. Das Muster der punktuellen Politisierung, das das Projekt identifizierte, wird erklärt aus dem Zusammenwirken von politisch-institutionellen Gelegenheitsstrukturen einerseits, den strategischen Wahlentscheidungen politischer Akteure (insbesondere der relevanten politischen Parteien) andererseits. Die zunehmende Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU und die Aufnahme neuer Mitglieder haben die Bedingungen dafür, dass politische Parteien diese strategischen Opportunitäten nutzen, zweifellos verbessert, aber sie sind nicht ursächlich dafür. Die Ergebnisse des Projekts sind auch für die integrationspolitische Debatte von Bedeutung. Es konnte insbesondere zeigen, dass es keinen Zusammenhang zwischen einem bestimmten Politisierungsniveau und der Richtung integrationspolitischer Entscheidungen gibt. Das integrationspolitische „Vorzeichen" der Politisierung ist weder eindeutig positiv, wie von den Neofunktionalisten angenommen, noch zwangsläufig negativ, wie von den Postfunktionalisten behauptet. Entscheidend ist vielmehr, dass durch die Politisierung die politische Unsicherheit für die politischen Eliten größer geworden ist. Integrationspolitische Entscheidungen müssen zunehmend im „Schatten der Politisierung" getroffen werden und sind in ihren Ergebnissen schwerer kalkulierbar geworden. Gerade in der Eurokrise wurde diese Folge der Politisierung des Integrationsprozesses deutlich erkennbar.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2012: 'The Politicization of Europe. A Cosmopolitan Project', in: Michael Heinlein/ Cordula Kropp/ Judith Neumer/ Angelika Poferl/ Regina Römhild (Hrsg.), Futures of Modernity. Challenges for Cosmopolitan Thought and Practice. Bielefeld: Transcript, 129-139
    Grande, Edgar
  • , 2014. 'Politicizing Europe in the national electoral arena: A comparative analysis of five West European countries, 1970-2010', in: Journal of Common Market Studies 52(5): 1002-1018
    Hutter, Swen/ Edgar Grande
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1111/jcms.12133)
  • 2014. 'Politicizing Europe in Hard Times: Conflicts over Europe in France in a Long-term Perspective, 1974-2012', in: Journal of European Integration 36(3), 267-282
    Hutter, Swen/ Alena Kerscher
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/07036337.2014.885752)
  • 2014: 'The Political Consequences of the Economic Crisis in Europe: Electoral Punishment and Popular Protest', in: Nancy Bermeo/ Larry M. Bartels (eds.), Mass Politics in Tough Times. Oxford: Oxford University Press, 297-333
    Kriesi, Hanspeter
  • 2014: 'The re-structuring of political conflict in Europe and the politicization of European integration', in: Thomas Risse (eds.), European Public Spheres. Politics is Back. Cambridge: Cambridge University Press, 190-223
    Grande, Edgar/ Hanspeter Kriesi
  • 2015: 'The Europeanization of the National Political Debate', in: Olaf Cramme/ Sarah B. Hobolt (eds.), Democratic Politics in a European Union under Stress. Oxford: Oxford University Press, 67-86
    Kriesi, Hanspeter/ Edgar Grande
  • 2015: ,Die Eurokrise: Ein Quantensprung in der Politisierung des europäischen IntegrationsprozessesT, in: Politische Vierteljahresschrift 56(3), 479-505
    Grande, Edgar/ Hanspeter Kriesi
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5771/0032-3470-2015-3-479)
  • 2016: 'Beyond authority transfer - Explaining the politicization of Europe', in: West European Politics 39(1), 23-43
    Grande, Edgar/ Swen Hutter
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/01402382.2015.1081504)
  • 2016: Politicizing Europe: Integration and Mass Politics. Cambridge: Cambridge University Press
    Hutter, Swen/ Edgar Grande/ Hanspeter Kriesi (eds.)
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung