Wie selektiv ist gerichtetes Vergessen?
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der Hinweis, zuvor gelernte Informationen zu vergessen, führt typischerweise zu einer verringerten Erinnerungsleistung für dieses Material. Ziel dieses Projekts war es, zu untersuchen, ob Probanden dazu in der Lage sind, lediglich eine Teilmenge der zuvor gelernten Informationen zu vergessen und die verbleibenden Informationen weiterhin im Gedächtnis zu behalten. Die Ergebnisse der durchgeführten 9 Experimente zeigen deutlich, dass Probanden in der Lage sind, selektiv irrelevante Informationen zu vergessen. Dies ergibt sich zumindest immer dann, wenn der Vergessenshinweis direkt auf die irrelevante precue-Information folgt, und nicht durch die zwischenzeitliche Präsentation relevanter precue-Information verzögert wird. In dieser Situation zeigte sich über 8 Experimente hinweg selektives gerichtetes Vergessen unabhängig von der Modalitat der Itempräsentation (auditiv vs. visuell), von der Diskriminierbarkeit der Itemlisten (gleicher vs. unterschiedlicher Kontext; kategorisiertes vs. nicht kategorisiertes Material), von der Länge der precue-Itemlisten (6 vs. 12 Items), und vom verwendeten Paradigma (Drei- vs. Zwei-Listen-Paradigma). Zudem zeigte sich, dass in dieser Situation interindividuelle Unterschiede im Ausmaß selektiven gerichteten Vergessens, sowohl im Drei- als auch im Zwei-Listen-Paradigma, mit der individuellen Arbeitsgedächtniskapazitat positiv korreliert sein können. Einzig wenn die irrelevante precue-Information vor der relevanten precue-Information präsentiert wurde, war ein selektives Vergessen nicht mehr möglich. Theoretisch sind unsere Selektivitätsbefunde inkonsistent mit der Kontextwechselhypothese. Nach diesem Ansatz sollte sich Selektivität weder im Drei- noch im Zwei-Listen-Paradigma zeigen, da ein internaler Kontextwechsel nach dem Lernen der relevanten und irrelevanten precue-Items nicht nur für die irrelevanten precue-Items eine Diskrepanz zwischen Lern- und Testkontext erzeugen sollte, sondern auch für die relevanten precue-Items. Dagegen lassen sich die Ergebnisse mit einer Version der Abrufhemmungshypothese in Einklang bringen, die Abrufhemmung als einen relativ flexiblen Kontrollmechanismus ansetzt. Demnach waren Probanden dazu in der Lage, in der selektiven Vergessensbedingung gezielt nur den Kontext der irrelevanten Informationen zu hemmen, ohne dabei den Kontext des relevanten Materials mit zu hemmen. Der Befund, dass Selektivität nicht mehr möglich ist, wenn die irrelevante precue-Information vor der relevanten precue-Information präsentiert wird, deutet allerdings darauf hin, dass dieser Flexibilitat auch Grenzen gesetzt sind. Unsere Befunde zur Selektivität gerichteten Vergessens haben theoretische Relevanz, da sie zwischen der Abrufhemmungs- und der Kontextwechselhypothese trennen können. Sie sind darüber hinaus von praktischer Relevanz, da sie zeigen, dass bereits gelernte, danach als irrelevant erachtete Inhalte oftmals selektiv vergessen werden können, ohne das Erinnern anderer, weiterhin als relevant eingestufter Inhalte zu stören. Die so manifestierte Gedächtnisaktualisierung unterstreicht die hohe Effizienz unseres episodischen Gedächtnisses.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2013). List-method directed forgetting can be selective: Evidence from the 3-list and the 2-list tasks. Memory & Cognition, 41, 452-464
Kliegl, O., Pastötter, B., & Bäuml, K.-H. T.