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Die "Wunschkindpille". Zur Erfahrungsgeschichte der hormonellen Empfängnisverhütung in der DDR im Kontext von staatssozialistischer Strategie und pharmazeutischer Industrie

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2010 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 160780805
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Unser Forschungsprojekt zur Kulturgeschichte der hormonellen Kontrazeption in der DDR verband pharmazeutische Entwicklungs- und humane Erfahrungsgeschichte miteinander. Die Pille wurde als ein Produkt in den Blick genommen, an dessen Entwicklung, Implementierung, Propagierung und Aneignung eine Vielzahl politischer und gesellschaftlicher Akteure beteiligt waren. Wir konnten herausarbeiten, dass sich neben der Partei- und Staatsführung der DDR maßgeblich eine „mittlere“ Ebene, ein intermediäres Netzwerk von Experten und Fachleuten aus Medizin, Pharmazie, Wissenschaft und Politik, für eine moderne Familienpolitik und für die Entwicklung moderner Verhütungsmittel einsetze. Im Vergleich zur „alten“ Bundesrepublik, wo Frauen sich gegen konservative Widerstände von Behörden, Ärzten und Kirchen den Zugang zu den hormonellen Verhütungsmitteln geradezu erkämpfen mussten, war die „Wunschkindpille“ im Staatssozialismus das von Regierung und Fachleuten vorgegebene Mittel der Familienplanung. Die Analyse der lebensgeschichtlichen Narrative zeigte allerdings, dass die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der Pille äußerst kompliziert und komplex verlief. Die Vergesellschaftung des Präparats, das zweifellos tiefgreifende Auswirkungen auf Partnerschaft, Ehe, Familie, Liebe und Sexualität hatte, entpuppte sich erstaunlicherweise auch in der Diktatur als ein von wechselnden Machtverhältnissen bestimmter Aushandlungsprozess zwischen den Staats- und Parteioberen, den Spezialisten und den Nutzerinnen der Pille und ihrer Partner. Jenseits der Differenzierungen nach Alter oder sozialmoralischen Milieus förderte unsere Untersuchung über die zu erwartenden Formen der Annahme dieses Verhütungsmittels auch verschiedene eigensinnige Formen des Umgangs zutage. Hierzu zählt etwa ein vom Leistungsethos der Nachkriegsgeneration geprägtes weibliches Narrativ der Opferung für die Familie ebenso wie die Präsentation einer selbstbestimmten weiblichen Unabhängigkeit (alleinerziehender Mütter), die das bewusste Ausleben sexueller Freiheiten einschloss, aber dies keineswegs zwangsläufig allein an die Pille band. Bemerkenswert schien uns auch ein Narrativ, in dessen Mittelpunkt eine vorwiegend religiös motivierte Suche nach Alternativen zur Engführung staatlicher Propaganda zur Familienplanung stand, sowie ein „Oppositionsnarrativ“, das den Verzicht auf die Pille, die Geburt und Erziehung mehrerer Kinder explizit als Absage an das genormte Familien- und Gesellschaftsmodell der DDR definierte. Entgegen unserer anfänglichen Annahmen erwies sich die Einführung der Fristenlösung im Jahr 1972 und deren Folgen politisch wie erfahrungsgeschichtlich als überaus eng mit der Geschichte der „Wunschkindpille“ verknüpft. Wir räumten deshalb den Entscheidungsprozessen für die Freigabe der Abtreibung, den damit verbundenen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und den Reaktionen der befragten Frauen (und Männer) einen größeren Stellenwert in unserer Arbeit ein, als ursprünglich vorgesehen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Die „Wunschkindpille“. Weibliche Erfahrung und staatliche Geburtenpolitik in der DDR, Göttingen: Wallstein Verlag 2015
    Annette Leo/Christian König
  • „Wenn die Chemie stimmt...“ Geschlechterbeziehungen und Geburtenplanung im globalen Zeitalter der Pille / Gender Relations and Birthcontrol in the Global Age of the Pill, Göttingen: Wallstein Verlag 2016
    Lutz Niethammer/Silke Satjukow (Hrsg.)
 
 

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