Strategien und Handlungskonzepte oberdeutscher Handelshäuser zur intra- und interfamiliären Konfliktlösung im 15. und "langen 16. Jahrhundert"
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In den oberdeutschen Handelszentren, insbesondere in Nürnberg und Augsburg, bildeten verwandtschaftlich verbundene Handelsgesellschaften eine „zentrale Grundkonstante“ und die dominierende Unternehmensform in der Frühmoderne des 15. und ,langen 16. Jahrhunderts'. Auf der normativen Grundlage von Gesellschaftsverträgen entstanden dort, meist im Groß- und Fernhandel überregional tätige Gesellschaften. Die verwandtschaftlich-familiäre Struktur barg besondere Chancen, in einem engen und auf Vertrauen basierten gemeinsamen ökonomischen Handeln, zugleich aber auch Risiken, die vor allem den unternehmerischen Erfolg, eventuell sogar den Fortbestand der Gesellschaft durch inner- und interfamiliäre Konflikte bedrohen konnten. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, vor allem Konfliktsituationen innerhalb der Gesellschaften zu erkennen und mögliche Strategien, Mittel und Wege zu ihrer Prävention oder Bewältigung zu erkennen und zu analysieren. Dabei zeigte sich die Relevanz des Themas nicht nur für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Frühmoderne, sondern im interdisziplinären Sinn auch für die allgemeine Konfliktforschung. Die Bearbeitungsgrundlage bildeten umfangreiche Quellenbestände aus verschiedenen Archiven in Nürnberg, Augsburg, München und Schloss Zeil im Allgäu. Die Quellenbestände dokumentieren eine Reihe von Fallbeispielen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die die Konfliktprävention oder die Lösung akuter Konflikten mit zum Teil großem Aufwand betrieben. Es stellten sich bei der Entstehung von Konflikten zwei grundlegende Ursachenbündel heraus: einerseits familieninterne Konflikte, andererseits (oft davon nicht deutlich zu trennen) Konflikte, die von außen an die Gesellschaft herangetragen wurden, wie etwa allgemeine Finanzkrisen, Kriege, Staatsbankrotte oder auch Krisen in verschiedenen Handelssektoren. Besonderes Augenmerk lag auf den familieninternen Konflikten, sie umfassten zu einem großen Anteil Nachfolgeprobleme zwischen Vätern und Söhnen sowie Konflikte unter Brüdern, Onkel, Vettern, Schwägern, Schwiegersöhnen oder auch den Kindern aus erster, zweiter oder dritter Ehe untereinander. Einerseits entstanden sie aufgrund unzuverlässiger, unfähiger, verschwenderischer und unbotmäßiger Nachfolger oder bereits tätiger Gesellschafter, andererseits auch durch allgemeine Kommunikationsprobleme sowie Verhindern oder Verzögern einer ordnungsgemäßen Nachfolge seitens des (Geschäfts)Führer der Gesellschaft (dem „Regierer“). Sodann verursachten ökonomische Sachlagen innerhalb der Gesellschaft Konflikte, wie etwa Liquiditätsprobleme, aber auch Gerüchte, nicht liquide und solide zu sein oder auch die häufig geübte Praxis, das Vermögen auf die Nachkommen aufzuteilen. Die Bestandsaufnahme der möglichen Konflikte und Krisenfälle zog in einem weiteren Schritt die Untersuchung nach Gegenmaßnahmen der Gesellschaften, nach Strategien, Mittel und Wege nach sich. Dabei impliziert der Begriff „Strategie“ ein planvolles, längeres, konfliktpräventives und vor allem zielgerichtetes Vorgehen, akute Mittel und Wege wurden hingegen im konkreten Krisen- und Konfliktfall eingesetzt. Sie passten sich den Umständen gemäß an, erforderten also ein Reagieren auf entstehende oder vorhandene Konflikte, womit sie sich in der Regel von den Strategien unterschieden, denen eine gewisse Kontinuität und Linearität im Sinne einer zielführenden Handlungsweise zu eigen ist. Beide - Konfliktprävention und Maßnahmen im Verlauf eines Konflikts - konnten sich durchaus bedingen oder aufeinander folgen. Folgende strategische Handlungswege ergriffen Familiengesellschaften, um mögliche innergesellschaftliche und damit immer auch innerfamiliäre Konflikte zu vermeiden: eine unternehmensspezifische Ausbildung mit dem Bestreben nach einer Professionalisierung, eine zielgerichtete Heiratspolitik, die Schaffung einer bindenden normativ-rechtlichen Grundlage durch Gesellschafts- und Mitarbeiterverträge, die Durchführung obligatorischer Gesellschafterversammlungen sowie testamentarische Verfügungen der Gesellschaftsgründer oder -regierer, um zum einen den Bestand der Familiengesellschaft zu sichern und zum anderen vermeintliche oder tatsächlich sich als unfähig, betrügerisch oder „ungehorsam“ erachtete Familienmitglieder auszuschalten, die möglicherweise die Einheit der Gesellschaft gefährdeten. Waren die Konflikte bereits ausgebrochen, standen zur Lösung folgende Wege zur Verfügung; die Einberufung von außerordentlichen Gesellschafterversammlungen, die Konsultation von Vermittlern, die idealerweise von verwandtschaftlich verbundenen „Mediatoren“ gestellt wurden aber durch externe Personen, wie z.B. Vertreter des städtischen Rates oder Mitglieder anderer Gesellschaften, ferner die Hinzuziehung externer Kontrollpersonen oder Krisen'manager' ('viri boni'). Außerdem konnten in Konfliktsituationen auch die Versetzung, das Auszahlen oder der Ausschluss von Familienmitgliedern sowie, als ultima ratio, der schiedsgerichtliche und gerichtliche Austrag zur Anwendung kommen. Zusammengefasst lassen sich zur Konfliktlösungsfrage bei verwandtschaftlich verbundenen Gesellschaften des 15. und langen 16. Jahrhunderts - als besonders effektiv, häufig gewählt und positiv besetzt - die Vorgehensweise verifizieren, die auf Kompetenzgewinn, Professionalisierung, Konsens, Freiwilligkeit sowie auf Nichtöffentlichkeit, Vertraulichkeit und schließlich auf außergerichtlicher Basis angelegt waren. Dazu zählten als präventive Maßnahmen eine zunehmend institutionalisierte und professionalisierte Ausbildung, eine Heiratspolitik in gleichen oder ähnlichen vertrauten sozioökonomischen Kreisen sowie im Konfliktfall vielfältige Kommunikationsformen, insbesondere Gesellschafterversammlungen und vor allem und an erster Stelle die Vermittlung - die Mediation - durch vertraute, kompetente, die Interessen aller Parteien wahrende Personen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Das Spektrum der Kompetenzanforderungen an Gesellschafter des 15. und 16. Jahrhunderts. In: EQUA-Stiftung (Hrsg.), Gesellschafterkompetenz. Aspekte einer Annäherung, Bonn 2011. S. 131-143
Isenmann, Mechthild
- Die Familie - ein Unternehmen. Frühe Familiengesellschaften zwischen Kontinuitat und Konflikt. (EQUA-Schriftenreihe Heft 11), Bonn 2011
Isenmann, Mechthild
- Die Paumgartner, eine Familiengesellschaft des 15. und 16. Jh. im Spiegel von Selbst- und Fremdzeugnissen, in: Westermann, Angelika; Welser, Stefanie von (Hrsg.), Individualbewußtsein? Persönliches Profil und soziales Umfeld. Oberdeutsche im Zeitalter der Welser und Fugger. III. Neunhofer Dialog, Lauf 2012, S. 181-209
Isenmann, Mechthild
- Das „Handlungs- und Bilanzbuch“ Paulus Behaims (1519-1568). Finanzgeschäfte und Klientel eines Nürnberger Financiers. Ein Werkstattbericht, in: Annales Mercaturae, 1 (2015) S. 37-60
Isenmann, Mechthild
- Hochfinanz, Kreditwesen und internationaler Zahlungsverkehr im Zeitalter der Reformation, in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 27. 2015, S. 14-36
Denzel, Markus A.
- Vom Nutzen und Schaden des Reichtums. Junge Nachfolger in oberdeutschen Familiengesellschaften des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Schulte, Petra; Hesse. Peter (Hrsg.), Reichtum im spateren Mittelalter. Politische Theorie - ethische Handlungsnormen soziale Akzeptanz (VSWG Beihefte, 232), Stuttgart 2015, S. 167-187
Isenmann, Mechthild
- Before bankruptcy: Conflict solution strategies of Upper German trading companies in the 15th and 'long' 16th Centuries, in: Schulte-Beerbühl, Margit; Cordes, Albrecht (Hrsg.), Dealing with economic failures: extrajudicial and judicial conflict regulations, Frankfurt 2016, S. 27-52
Isenmann, Mechthild