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Die Bedeutung des Kolonialismus für die Entwicklung des Völkerrechts

Fachliche Zuordnung Grundlagen des Rechts und der Rechtswissenschaft
Förderung Förderung von 2010 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 171471489
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Völkerrecht des Kolonialismus erhob erstmals den Anspruch, Rechtsverhältnisse weltweit autoritativ zu regeln. Das Projekt zielte darauf ab, diese Metamorphose in der historischen Entwicklung des Völkerrechts zu bestätigen und die Kausalzusammenhänge zwischen früher Globalisierung, Kodifizierung des Völkerrechts und kolonialpolitischer Ausgrenzung nachzuzeichnen. Ermittelt werden sollte, welche völker- und staatsrechtlichen Regeln auf die Kolonialgebiete in welchem Umfang Anwendung fanden, ob es ein spezifisches „Kolonialvölkerrecht“ (als Zweig des „Ius Publicum Europaeum“) gab, ob und inwieweit die auf Kolonien anwendbaren Rechtsregeln einer reinen Objektbetrachtung entsprangen oder nur ihre Qualifikation als „völkerrechtsfreie Räume“ notdürftig kaschieren sollten. Schließlich wollten wir untersuchen, inwieweit untergegangene nichteuropäische „Völkerrechts“-Ordnungen in kolonialzeitlichen Rechtsstrukturen fortwirkten und möglicherweise noch im gegenwärtigen (globalen oder regionalen) Völkerrecht Spuren hinterlassen. Im ersten Teil des Forschungsprojekts (A) wurde die Vielfalt regionaler Rechtsordnungen in der Zeit vor dem imperialen Vordringen des europäischen Völkerrechts (Ius Publicum Europaeum) untersucht – mit einem Schwerpunkt auf Afrika südlich der Sahara, Süd- und Südostasien. Insbesondere für Afrika lässt sich belegen, dass ein von der europäischen Ordnung vollkommen unberührtes „Intergruppenrecht“ bestand, das in Ermangelung einer Schriftkultur gewohnheitsrechtlich galt und dessen Inhalte aus dem gleichen Grund heute nur noch punktuell bekannt sind. Diesen außereuropäischen „internationalen“ Rechtsordnungen war das Konzept von Staat und Souveränität fremd, sie waren personal eher denn territorial konzipiert. Für die untersuchten Gebiete Asiens gilt dieser Befund nur eingeschränkt, zumal diese Entitäten in intensiverem Kontakt mit europäischen Mächten standen. Trotz der andersartigen Gesellschafts- und Herrschaftskonzepte lassen sich für Asien, aber auch Afrika den europäischen Rechtsprinzipien wie pacta sunt servanda, clausula rebus sic stantibus, diplomatische Immunität oder Regeln des Kriegs- und Friedensrechts entsprechende Regeln nachweisen. Für die verbreitete These vom Bestehen einer einheitlichen, vorkolonialen Völkerrechtsordnung aber gibt es keine Grundlage: Das Europäische Völkerrecht ist wie andere regionale Ordnungen als eine Art Clubsatzung anzusehen, deren Wirkungsbereich und Partizipationsrahmen limitiert waren. Der zweite Teil (B) widmete sich dem Vordringen des Europäischen Völkerrechts und dem Systemkonflikt, der durch Verdrängung der „indigenen“ Ordnungen ausgetragen wird. Das Ius Publicum Europaeum galt weiterhin exklusiv für seine Partizipanten, aber es erhob nun auch den Anspruch, weltumspannend exklusiv und damit exklusionistisch zu gelten. Welchem Recht die vielen zwischen einheimischen Herrschern und Europäern abgeschlossenen Verträge unterlagen und ob sie überhaupt Bindungskraft entfalten sollten, muss letztlich offen bleiben. Ein veritables Kolonialvölkerrecht bildete sich aus diesem Universalisierungsprozesses nicht heraus. Die Folgen des Kolonialismus für die Jetztzeit wurden im dritten Teil (C) analysiert. Die nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Ägide der Vereinten Nationen erfolgende Dekolonisierung ist – so der zentrale Befund des Projektes – äußerst ambivalent, weil mit ihr zugleich die Durchsetzung des Europäischen Völkerrechts als der von den Kolonialmächten geschaffenen Ordnung als weitweite und alleinige Ordnung besiegelt wird. Damit erwächst ein „postkoloniales Paradoxon“: Den ehemals Kolonisierten blieb keine andere Möglichkeit, als diejenige Völkerrechtsordnung, die sie bisher unterdrückt hatte und ihre zwischengemeinschaftlichen Ordnungen verdrängt hatte, anzunehmen. Dies schließt implizit auch die Anerkennung der Legitimität ihrer Genese, also auch der rechtlichen Grundlagen kolonialer Repression, ein. Dieser Befund erklärt zu einem erheblichen Teil die – im Rahmen des Projekts betrachteten – internationalen Konflikte zwischen ehemals kolonisierten Entitäten und zwischen diesen und ehemaligen Kolonialmächten.

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