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Akteure (post-)sowjetischer Territorialkonflikte: Die separatistischen Bewegungen in Transnistrien und auf der Krim 1989 bis 1995 im Vergleich

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2010 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 171864372
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ausgangspunkt des Projekts war das Interesse an der Debatte um grundlegende Charakteristika und Ursachen der jugoslawischen und sowjetischen Zerfallskriege. Das dort zentrale Paradigma des „ethnischen Konflikts“ tendiert dazu die konkreten Akteure mit ihren Ambitionen und Interessen, ihren vorab bestehenden Strukturen und Netzwerken kollektiven Handelns und ihren internen Machthierarchien hinter der Annahme a priori existierender Großgruppen (Ethnie, Nationalität, „Volksgruppe“ o. ä.) zum Verschwinden zu bringen. Das Projekt hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, sie dahinter wieder sichtbar zu machen. Die Konfliktakteure also als politische, d. h. nationalistische oder separatistische, Bewegungen und nicht als „Ethnien“ begreifend, fragte das Projekt nach sozialer Zusammensetzung, internen Machtdynamiken, Mobilisierungsdiskursen und den sozialen Kontexten der Kollektivakteure. Damit sollte ein Beitrag zu einer „Soziologie des innerstaatlichen Krieges“ geleistet werden. Der Vergleich hat ergeben, dass sich die beiden von Ideologie und Voraussetzungen so ähnliche erscheinenden Bewegungen in ihrer sozialen Konfiguration fundamental unterscheiden. Dem Dnjestr-Separatismus mit seiner engen Verbundenheit mit den sowjetischen industriellen Strukturen stand ein loses Netzwerk von Intellektuellen, Kleinunternehmern und Afghanistan-Veteranen auf der Krim gegenüber, das sich trotz eines massiven Wahlsiegs 1994 als unfähig erwies sich an der Macht zu halten, geschweige denn einen Konflikt mit Kiew einzugehen. Die unterschiedliche soziale Basis und der damit zusammenhängende Zugang zu Ressourcen bestimmen die Möglichkeiten dieser Bewegungen ihr politisch-separatistisches Projekt auch in Form von Gewalt zu betreiben und einen parallelen Staatsapparat aufzubauen. Zudem hat sich gezeigt, dass die Konfliktlinien in beiden Fällen keineswegs so eindeutig sind, wie das die Annahme von Grenzen zwischen Ethnien, Kulturen oder religiösen Gruppen suggeriert: vielmehr waren die Konfliktlinien stark fragmentiert, und die Parteinahmen der Einzelnen hingen von der Einbindung in soziale Strukturen und deren hierarchischer Anordnung ab. Kleinteilige institutionelle Arrangements waren für die Organisierung von Gefolgschaft also wesentlich bedeutender als die großen, abstrakten Diskurse von nationaler, religiöser oder kultureller Zugehörigkeit. Die Ergebnisse legen nahe, dass zukünftige Forschung in das Innenleben der Kollektivakteure, in die Alltagswelten der Mobilisierten und die konkreten sozialen Kontexte der Mobilisierung eintauchen muss, um das Gewalthandeln und die nationalistischen Mobilisierungen im Zerfall der realsozialistischen Staaten zu dechiffrieren. Während die Frage nach Eliteinteressen an den Mobilisierungen weitgehend beantwortet ist, harrt die Frage danach, warum oder wie sich Anhängerschaften für die politischen Projekte der Eliten mobilisieren lassen, weiterhin einer weiterführenden Diskussion. Die Übernahme der Krim durch die RF im Frühjahr 2014, direkt nach Abschluss des Projekts, aber während des Prozesses der Fertigstellung zugehöriger Veröffentlichungen, stellte die Ergebnisse des Projekts auf die Probe. Dieses hatte lokale/regionale Akteure ins Zentrum der Beobachtung gestellt und die pro-russländische Bewegung auf der Krim fungierte als Beispiel eines – trotz des Erringens von Mehrheiten bei Wahlen – erfolglosen „Separatismus“. Auch wenn nun bei dieser territorialen Veränderung die Regierung der RF eine bedeutendere Rolle spielte als lokale Akteure auf der Krim, so haben die Thesen des Projekts dennoch nicht ihre Berechtigung verloren. Zum einen haben die politischen Konstellationen vor Ort die Art und Weise des territorialen Revirements ohne gewalttätigen Widerstand erst möglich gemacht. Und zum anderen bleibt festzuhalten, dass die Situation Anfang der 1990er Jahre, mit einem Russländischen Föderation als Staat im Aufbau, sich von der heutigen Situation stark unterschied. Die Rezeption der Ergebnisse des Projekts hat sich aber dennoch deutlich verschoben. Fand vor 2014 der Dnjestr-Separatismus die größere Aufmerksamkeit, während die Bewegung auf der Krim nahezu unbekannt war, existiert seitdem ein gesteigertes Interesse an der lokalen Vorgeschichte auf der Krim. Das verbreiterte die Möglichkeit die Ergebnisse des Projekts einer über das Fachpublikum hinausgehenden Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Hervorzuheben sind hier ein Artikel in der Rubrik „Gegenwart“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Jan Zofka: „Zurück zum Mutterland“, FAZ, 28.4.2014, S. 6) sowie mehrere Interviews in Radio und Presse (Troebst, Stefan:Der Auflösungsprozess der Sowjetunion und seine Folgen. In: MDR.DE [Leipzig], 14. 03. 2014; http://193.22.36.128/damals/moldawieninterview-stefan-troebst100.html) und zwei Kommentare in der Neuen Zürcher Zeitung durch den Projektleiter Stefan Troebst (u.a. Stefan Troebst: „Putins Schuss in den Fuß“, NZZ, 31.3.2014, S. 19).

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Die „Transnistrische Moldauische Republik“ (PMR), in: Klaus Bochmann /Vasile Dumbrava /Dietmar Müller /Victoria Reinhardt (Hrsg.): Republik Moldova. Ein Handbuch, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2012, S. 118-128
    Zofka, Jan
  • Russianess als unsichtbare Norm. Mobilisierungsdiskurse des prorussländischen Separatismus in Transnistrien, in: Zaur Gasimov: Kampf um Wort und Schrift. Russifizierung in Osteuropa, im Kaukasus und in Sibirien im 19. bis 21. Jahrhundert, Vandenhoeck und Ruprecht, Mainz 2012, S. 113-129
    Zofka, Jan
  • Az államiság kultusza egy Pszeudo-államban: Identitásmenedzsment Transznisztrián [Staatlichkeitskult im Pseudo-Staat: Identitätsmanagement in Transnistrien]. In: Kovács, Bálint, Hakob Matevosyan (Hrsg.): Politikai krízisek Európa peremén: A Kaukázustól a brit-szigetekig. Budapest: Magyar Napló, 2014, 327-344
    Troebst, Stefan
  • Kik voltak a szeparatisták? A krími és a dnyeszter-völgyi oroszbarát mozgalmak összehasonlítása (1989-1995) [Who were the separatists? A Comparison of pro-Russian Movements in Crimea and the Dniester Valley (1989-1995)], in: Bálint Kovács, Hakob Matevosyan (Hrsg.): Politikai krízisek Európa peremén. A Kaukázustól a Brit-szigetekig [Political Crises on the Outskirts of Europe: From the Caucasus to the British Isles], Magyar napló, Budapest 2014, S. 309-326
    Zofka, Jan
  • Das "Frauenstreikkomitee" des postsowjetischen Separatismus im moldauischen Dnjestr-Tal, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, Metropol-Verlag, Berlin 2015, S. 123-136
    Zofka, Jan
  • Politische Unternehmer. Fabrikdirektoren als Akteure postsozialistischer Bürgerkriege, in: Adam Skordos; Dietmar Müller: Leipziger Zugänge zur rechtlichen, politischen und kulturellen Verflechtungsgeschichte Ostmitteleuropas, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2015, S. 313-331
    Zofka, Jan
  • Postsowjetischer Separatismus. Die pro-russländischen Bewegungen im moldauischen Dnjestr-Tal und auf der Krim (1989-1995), Wallstein-Verlag: Reihe Moderne Europäische Geschichte, hrsg. v. Hannes Siegrist u. Stefan Troebst, Göttingen 2015, 437 S.
    Zofka, Jan
  • The Transformation of Soviet Industrial Relations and the Foundation of the Moldovan Dniester Republic. Europe-Asia Studies, Volume 68, 2016 - Issue 5, 826-846
    Zofka, Jan
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/09668136.2016.1189514)
 
 

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