Mobile Orte, virtuelle Netze: Zur Geographie kundeninduzierter Innovationsprozesse Co-Development in hybriden Praktikergemeinschaften
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Wirtschaftsgeographie ist traditionell eine Produktionsgeographie. Diese Schieflage kennzeichnet auch Theorien zur Räumlichkeit von Innovationsprozessen. Enge, innovationsbezogene Nutzer-Produzenten Interaktionen sind allenfalls bei Business-to- Business-Beziehungen zwischen Produzenten und Dienstleistern oder Zulieferer bekannt. Erfinderische Kunden, aufgeklärte Konsumenten und kompetente Nutzer jedoch, eine heterogene Gruppe, die zunehmend das Interesse sozialwissenschaftlicher Innovationstheorien weckt, spielten in der bisherigen Wirtschaftsgeographie nur eine untergeordnete Rolle. Das Forschungsprojekt hat den seither so sträflich vernachlässigten König, den Kunden ins Zentrum einer wirtschaftsgeographischen Analyse gestellt. Das unübersichtliche und aktuell hoch-dynamische Feld von Nutzer-Produzenten Interaktionen, das wir mit dem Begriff des „Co-Development" provisorisch benennen, konnte dabei abgegrenzt und mittels einer Typologie strukturiert werden. Formen der von Kunden selbst organisierten Entwicklung, die bisher unter den Begriffen „open source" und „web 2.0" diskutiert worden sind, konnten dabei in einen engeren analytischen Zusammenhang mit der Integration von Nutzern und Kunden in betrieblichen Innovationsprozessen gebracht werden. Der eigentlich überraschende Befund war weniger die Systematik selber, als vielmehr die sozialen Dynamiken, die die vielschichtigen Beziehungen zwischen Produzenten und Nutzern kennzeichnen. Im Spannungsfeld zwischen kollaborativer Wissensproduktion und Monopolisierung von Wissen, entfalten sich beispielsweise bisher unterschätzte unternehmerische Dynamiken, etwa wenn aus enthusiastischen Hobbyisten Unternehmensgründer oder professionelle Entwickler werden. Die Geographien des Co-Development sind durch eine dynamische Mobilität gekennzeichnet. Während in bisherigen Debatten professionelle Mobilität in Wissenspraktiken vor allem in Bezug auf zyklisch wiederkehrende und herausgehobene Ereignisse wie Messen und Konferenzen thematisiert wurde, geht es in unserem Projekt um sehr viel flüchtigere, häufig singulare Interaktionen, etwa ein Workshop mit besonders artikulationsfähigen Nutzern oder ein Treffen mit einem kooperierenden Ärzteteam im Operationssaal. Weiterhin ist typisch, dass Wissensproduktion weniger an speziell dafür geschaffenen Orten (wie Labore oder Konferenzsäle) stattfindet, sondern oft direkt in den Kontext der alltäglichen Praxis verlagert wird, also an so diverse Orte wie die häusliche Küche, die Fahrradwerkstatt oder das Kinderzimmer. Zudem kennzeichnet Virtualität die Geographien nutzerinduzierter Innovationsprozesse. Bisher galt es als sicher, dass intensiver Wissensaustausch nur möglich ist, wenn sich die Interaktionspartner auch physisch an einem Ort treffen können. Virtuelle Interaktion könne diese persönlichen Treffen nicht ersetzen, nur erweitern und teilweise komplementieren. Unser Projekt konnte zeigen, dass selbst rein oder überwiegend virtuell interagierende Communities komplexes Wissen zirkulieren und kollektiv entwickeln können, ohne dass dabei Treffen im physischen Raum unverzichtbar gewesen wären. Geographie bleibt wichtig, weil virtuell ausgetauschtes Wissen an konkreten Orten wieder zur praktischen Anwendung gebracht werden muss. Zudem greifen Online Communities nicht selten auf gegebene Institutionen zurück, von denen einige einen territorialen Bezug auftweisen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Co-Development - Zur Geographie kundeninduzierter Innovationsprozesse", Arbeitskreis Industriegeographie, Eschwege, 10.-11. November 2006
S. Flohr
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"The neglected king: The customer in the new knowledge ecology of innovation". Keynote, Second Global Conference on Economic Geography, Beijing, China, 25.-28. Juni 2007
G. Grabher
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"Collaborator, Competitor or Victim? The Customer in the New Knowledge Ecology ot Innovation", Annual Conference of the European Group for Organization Studies, VU University of Amsterdam, 12. Juli 2008
G. Grabher
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"Media Influences on Innovation and Technological Evolution: A Critical Appraisal", Annual Conference of the Innovation Research Network, University of Montreal, 3. Mai 2008
G. Grabher
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"Networks or Communities? The New Ecology of User-Driven Innovation", Chicago Graduate Business School, Ronald S. Burt Research Seminar, 14. April 2008
G. Grabher
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"The Fan, the Tinkerer and the Grumbler: Bringing Customers back in to Economic Geography", Geographisches Institut, Universität Zürich, 19. März 2008
G. Grabher
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"The Neglected King: The Customer in the New Knowledge Ecology of Innovation", 5th Interdisciplinary Symposium on Knowledge and Space "Knowledge and Economy", Geographisches Institut, Universität Heidelberg, 27. Juni 2008
G. Grabher
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2008. The neglected king: The customer in the new knowledge ecology of innovation. Economic Geography 84(3), 253-280
G. Grabher, O. Ibert und S. Flohr
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„Einführung in den Workshop 'Standortqualität- der Nutzen neuer IuK Technologien für die lokale Ökonomie'", Tagung „e-motions: Neue IuK Technologien und Stadtentwicklung", T-City Projekt, Geographisches Institut, Universität Bonn, 20.-21. Oktober 2008
O. Ibert
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„Weisheit der Massen oder digitales Rauschen? Wissensproduktion in virtuellen User Communities", Geographentag in Wien, Fachsitzung 81 „Wissen und seine Kontextualität för eine Welt von Morgen", 19.-26. September 2009
G. Grabher und O. Ibert