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Die Interaktion segmentaler und prosodischer Strukturmerkmale bei der Sprachproduktion: Syndromvergleiche und Untersuchungen auditiver rhythmischer Bahnungseffekte.

Antragstellerinnen / Antragsteller Professorin Dr. Simone Falk; Professor Dr. Wolfram Ziegler
Fachliche Zuordnung Persönlichkeitspsychologie, Klinische und Medizinische Psychologie, Methoden
Kognitive und systemische Humanneurowissenschaften
Förderung Förderung von 2010 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 173836655
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Mit den Ergebnissen dieses Forschungsprojekts konnten wir den von unserer Arbeitsgruppe maßgeblich vertretenen integrativen Ansatz in der Modellierung von Sprechstörungen bei Patienten mit einer Schädigung linkshemisphärischer Kortexareale replizieren und erweitern. Unser Modellansatz beruht auf der Annahme, dass die „Pläne“ oder „Programme“, die den komplexen Mustern von Sprechbewegungen zu Grunde liegen, hierarchisch organisiert sind: Die elementarsten phonetisch relevanten motorischen Handlungen, als „artikulatorische Gesten“ bezeichnet (wie z. B. der Lippenschluss für die Laute /b/, /p/ oder /m/), werden durch erlernte und sehr flexible Koordinationsmuster der beteiligten Muskelgruppen bewerkstelligt. Diese wiederum verknüpfen sich in präziser zeitlicher Abstimmung mit den Gesten des Gaumensegels und des Kehlkopfs zu stimmhaften oder stimmlosen, nasalen oder oralen Lauten, und fügen sich, ebenfalls in bestimmten Phasenverhältnissen, zu Konsonant-Vokal-Verbindungen, und ganzen Silben zusammen. Die silbischen motorischen Muster sind am Ende Bestandteile übergeordneter rhythmischer („metrischer“) Einheiten, die sich zu Wörtern und Sätzen verbinden. Alle Komponenten dieser hierarchischen Architektur sind sprachspezifisch und sind Resultat langjährigen motorischen Lernens. Die Sprechapraxie – ein Syndrom das bei einer Schädigung ventraler motorischer und prämotorischer Kortexareale und der angrenzenden inferior-frontalen Rindenregion der linken Hemisphäre auftritt, resultiert nach unserer Annahme aus einer Auflösung erworbener sprechmotorischer Planungsprozesse. Die Fehlermuster sprechapraktischer Patienten legen die „Bruchstellen“ erworbener sprechmotorischer Planungsstrukturen frei. Die im Berichtszeitraum dieses Projekts durchgeführten Experimente haben insbesondere bestätigt, dass eine Manipulation der Anforderungen auf der höchsten, also der rhythmischen Ebene der motorischen Hierarchie zu vorhersagbaren Sprechfehlern auf der niedrigsten Ebene artikulatorischer Gesten führen. Waren diese Erkenntnisse bisher auf die Ebene einzelner, isoliert nachgesprochener Wörter beschränkt, konnten wir jetzt darüber hinaus zeigen, dass auch der rhythmische Kontext eines ganzen Satzes die Artikulation auf der Ebene einzelner Laute und Lautverbindungen in der Wortproduktion beeinflusst. Das experimentelle Paradigma, das wir dabei verwendet haben, weist auf eine Interaktion der auditiven Verarbeitung rhythmischer Strukturen gesprochener Sprache mit motorischen Planungsprozessen hin. Erstmalig wurden in diesen Experimenten auch Patienten mit Störungen höherer (phonologischer) Prozesse der Sprachlautproduktion eingeschlossen. Auch diese Patienten zeigten - in gleicher Weise wie die Sprechapraxiepatienten – eine sehr ausgeprägte Sensitivität für prosodische Einflussfaktoren, was auf eine strukturelle Homogenität von phonologischen und sprechmotorischen Planungsprozessen hinweist. Patienten mit Dysarthrien infolge eine Basalgangliendysfunktion (M. Parkinson) unterschieden sich dagegen nicht wesentlich von neurologisch gesunden Probanden. Unsere Ergebnisse haben inzwischen auch zu (erfolgreichen) Replikationsversuchen mit englischsprachigen Sprechapraxiepatienten in den USA geführt. Sie haben mit der Fokussierung auf die Interaktion rhythmisch-prosodischer und segmentaler Aspekte der Artikulation erheblichen Einfluss auf übungstherapeutische Behandlungskonzepte der Sprechapraxie. In einem kürzlich erschienenen deutschsprachigen Lehrbuch zur Sprechapraxie haben wir die theoretischen Grundlagen und klinischen Implikationen dieser Ergebnisse ausführlich dargestellt und hoffen damit neue Standards in der klinischen Versorgung sprechapraktischer Patienten in Deutschland zu setzen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2015). How Much Is a Word? Predicting Ease of Articulation Planning from Apraxic Speech Error Patterns. Cortex, 69, 24-39
    Ziegler, W. & Aichert, I.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.cortex.2015.04.001)
  • (2016). Entraining with Another Person's Speech Rhythm: Evidence from Healthy Speakers and Individuals with Parkinson's Disease. Clinical Linguistics & Phonetics, 30(1), 68-85
    Späth, M., Aichert, I., Ceballos-Baumann, A., Wagner-Sonntag, E., Miller, N. & Ziegler, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3109/02699206.2015.1115129)
  • (2016). The Role of Metrical Information in Apraxia of Speech. Perceptual and Acoustic Analyses of Word Stress. Neuropsychologia, 82, 171-178
    Aichert, I., Späth, M. & Ziegler, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.neuropsychologia.2016.01.009)
  • (2017). Auditory-motor rhythms and speech processing in French and German listeners. Frontiers in Psychology, 8:395
    Falk, S., Volpi-Moncorger, C., & Dalla Bella, S.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3389/fpsyg.2017.00395)
  • (2017). Complexity of Articulation Planning in Apraxia of Speech: The Limits of Phoneme-Based Approaches. Cognitive Neuropsychology, 34, 482-487
    Ziegler, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/02643294.2017.1421148)
  • (2017). When Words Don't Come Easily: A Latent Trait Analysis of Impaired Speech Motor Planning in Patients with Apraxia of Speech. Journal of Phonetics, 64, 145-155
    Ziegler, W., Aichert, I. & Staiger, A.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.wocn.2016.10.002)
  • (2019). Do Patients with Neurogenic Speech Sound Impairments Benefit from Auditory Priming with a Regular Metrical Pattern? Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 62, 3104-3118
    Aichert, I., Lehner, K., Falk, S., Späth, M., Ziegler, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1044/2019_JSLHR-S-CSMC7-18-0172)
  • (2019). In Time with the Beat: Entrainment in Patients with Phonological Impairment, Apraxia of speech and Parkinson’s disease. Stem-, Spraak- en Taalpathologie, 24, 57
    Aichert, I., Lehner, K., Falk, S., Späth, M., Franke, M. & Ziegler, W.
  • (2020). Sprechapraxie: Grundlagen, Diagnostik, Therapie. Berlin, Springer
    Ziegler, W., Aichert, I., Staiger, A.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-662-59331-8)
  • (2020). The Nonlinear Gestural Model of Speech Apraxia: Clinical Implications and Applications. Aphasiology
    Ziegler, W., Lehner, K., Pfab, J. & Aichert, I.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/02687038.2020.1727839)
 
 

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