"Denkstile" als kommunikative Paradigmen - Am Beispiel der Wirtschaftsberichterstattung in der DDR vor der "Wende"
Zusammenfassung der Projektergebnisse
"Innerwissenschaftlich" knüpft das Forschungsprojekt an der Beobachtung divergierender Würdigungen des Ansatzes und der Theorien Ludwik Flecks an. Daraus ergab sich die Frage, ob und wie es möglich sei, sich auf Fleck in einem für den Fortschritt der heutigen Wissenschaft produktiven Sinne rezipierend zu beziehen. Radeiski zeigt, dass die Unabgeschlossenheit und teilweise Widersprüchlichkeit bei Fleck als Potenzial und Chance, als besondere Bedingung für unterschiedliche Möglichkeiten betrachtet werden kann, aus der Herangehensweise Flecks theoretischen Gewinn für aktuelle Fragen und Problemstellungen zu ziehen. Des Weiteren gibt es zahlreiche Überschneidungen zwischen Flecks Herangehensweise und der linguistisch orientierten Diskurstheorie nach Foucault. Die Verknüpfung des Fleck’schen Ansatzes mit Ansätzen aus der Diskurslinguistik nach Foucault beantwortet Kernfragen von Wissen und Wissenschaftlichkeit neu: Die Fleck’sche Kategorie der "Beharrungstendenz", die im Doppelcharakter des Denkstiles liegt, erklärt die dynamische Stabilität von Diskursen. Fleck gibt zudem Antworten auf die Frage, wie Täuschung und Selbsttäuschungen von Denkkollektiven möglich seien. Er begreift Täuschung und Wahrheit als Wissenselemente, die eine harmonisch-ganzheitliche Gestalt ergeben. Flecks Ansatz ermöglicht es, das Verhältnis von Gesagtem und Nicht-Gesagtem, Sagbarem und Nicht-Sagbarem näher zu bestimmen. Es ist Teil eines Prozesses von sprachlichen Äußerungen innerhalb eines Denkkollektivs, das sein Wissen durch sprachliche Routinen verobjektiviert und zu Denkgewohnheiten werden lässt. Mit Fleck lässt sich die Veränderung von gesellschaftlichem Wissen erklären, die sich aus einschränkenden Prozeduren der Gestaltung des Diskurses, aus Handlungsroutinen und diskursiven Handlungsrollen ergibt. Ebenso im Vordergrund steht die Frage, wie sich Denkstile auf die Inszenierung von wissenschaftlich-diskursiven Auseinandersetzungen auswirken. "Außerwissenschaftlich" findet das Projekt seinen Ausgangspunkt bei der Beobachtung, dass die Bestimmung der Lebens- und Herrschaftsverhältnisse in der DDR bis heute kontrovers diskutiert wird. Dieser inner- und außerwissenschaftliche Diskurs weist erstens diachron eine erstaunliche Kontinuität auf, obwohl die historisch orientierte DDR-Forschung in der Zwischenzeit sehr viel zu diesen Themen erforscht und publiziert hat. Zweitens lässt sich anhand der historisch orientierten DDR-Forschung zeigen, wie ein wissenschaftlicher Denkstil entsteht und die Entwicklung von neuen Erkenntnissen prägt und vorantreibt. Es konnte deutlich gemacht werden, wie sehr der kontrovers ausgeübte Diskurs, also der kollektiv-kommunikative Prozess auf die entstehenden wissenschaftlichen Tatsachen wirkt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Rhetorik der Selbsttäuschung. Berlin: Frank & Timme. ISBN 978-3-86596-513-4
Gerd Antos, Ulla Fix, Bettina Radeiski
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Denkstile, Sprache und Diskurse. Überlegungen zur Wiederaneignung Ludwik Flecks für die Diskurswissenschaft nach Foucault. 2017, 210 S., Berlin: Frank & Timme.
Bettina Radeiski