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Islam im europäischen Haus. Auf dem Weg zu einer interreligiösen Sozialethik im Blick auf muslimische Positionen zum Verhältnis von Religion, Staat und Gesellschaft

Antragsteller Dr. Hansjörg Schmid
Fachliche Zuordnung Katholische Theologie
Förderung Förderung von 2010 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 181848954
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Eine rein konfessionelle Sozialethik, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist, gerät heute aufgrund der gesellschaftlichen Pluralisierung an ihre Grenzen. Die Annäherung der verschiedenen christlichen Kirchen hat bereits zu einer Diskussion über eine mögliche ökumenische Sozialethik geführt, deren Erkenntnisse in modifizierter Form auch auf interreligiöse Fragestellungen angewandt werden können. Im Rahmen einer interreligiösen Sozialethik können sich konfessionelle Strukturen darüber hinaus auf den religiösen Pluralismus ausrichten. Es entsteht so ein Dialog zwischen verschiedenen Perspektiven der Religionen auf sozialethische Themen, durch den die Ausgangspositionen nicht in ein größeres Ganzes aufgelöst werden, sich jedoch wechselseitiger Kritik und Anfragen aussetzen. Dabei ist die Methode eines vorsichtigen Vergleichs erforderlich, die der jeweiligen inneren Vielfalt Rechnung trägt und Vergleichsmaßstäbe nicht von außen an andere Religionen heranträgt. Interreligiöse Sozialethik bietet eine Alternative zur Neutralisierung theologischer Denkfiguren in der Öffentlichkeit. Da die Sozialethik immer schon Bezüge zu säkularen Wissenschaften und ihren Erkenntnissen umfasst, ist damit allerdings keine antisäkulare Allianz von Religionen verbunden. Der Islam wird häufig als eine Religion wahrgenommen, die in Opposition zur Moderne steht. Jedoch zeigen sich gerade im europäischen Islam dynamische Prozesse der Auseinandersetzung mit der Moderne analog zur christlichen Sozialethik. So wie die christliche Sozialethik als Antwort auf gesellschaftliche Umbrüche entstanden ist, ringen derzeit Muslime in Europa damit, wie islamische Traditionen und aktuelle Herausforderungen miteinander in Einklang gebracht werden können. Sozialethische Fragen spielen nicht nur in Islamdiskursen eine zentrale Rolle, sondern erweisen sich auch als Katalysator für die Entstehung islamischer Theologie im europäischen Kontext. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen bejahen die untersuchten islamischen Autoren Säkularisierung (ohne eine Aufgabe des öffentlichen Anspruchs von Religion) und Menschenrechte (ohne kulturalistische Vereinnahmung und mit der Möglichkeit von Kritik und Weiterentwicklung). Damit sind Grundlagen einer interreligiösen Sozialethik gegeben. Die Zivilgesellschaft bietet einen gemeinsamen Rahmen für die Religionen, der Säkularisierung Rechnung zu tragen und gleichzeitig öffentlich präsent zu sein. Islamischer und christlicher Sozialethik ist schließlich die Orientierung an Prinzipien gemeinsam. In beiden Fällen ist jedoch umstritten, welchen Stellenwert Prinzipien in sozialethischen Argumentationen haben sollen und welche Größen als Prinzipien anzusehen sind. Aufgrund struktureller Unterschiede und einer höheren Gewichtung von Rechtstraditionen bleiben weitreichende Unterschiede zwischen islamischer und christlicher Sozialethik bestehen. Dennoch können die beiden Religionen als Bindungskräfte, Träger sozialer Aufgaben und Kommunikatoren wichtige Aufgaben in Europa übernehmen. Die Auseinandersetzung mit Positionen islamischer Sozialethik bietet für die christliche Sozialethik die Chance, neu über eigene Grundlagen nachzudenken, selbstkritisch Stationen der eigenen Fachgeschichte in einen Dialog einzubringen und damit zu einer Versachlichung oft einseitiger Islamdiskurse beizutragen.

 
 

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