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Das "Peckham-Experiment" und die wissenschaftliche Entdeckung der Eigenverantwortung in den 1930er bis 1950er Jahre

Antragsteller Dr. David Kuchenbuch
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2010 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 184924170
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das "Peckham-Experiment", 1935 bis 1950 durchgeführt im "Pioneer Health Centre" in einem Arbeiterviertel in Südlondon, gehört zu den wichtigsten Sozialexperimenten der Moderne. Die Nutzer dieses innovativen Freizeit- und Gesundheitszentrums wurden aufgefordert, ihre Aktivitäten selbstständig zu wählen und zu organisieren. Die positiven Effekte, die das auf die Gesundheit, die Produktivität und die soziale Integration dieser Nutzer hatte, wurden begleitend von Ärzten beobachtet. Im Forschungsprojekt wurde – durch intensives Studium der gedruckten Quellen und der archivalischen Überlieferung zum Center, insbesondere in Londoner Archiven, und bei Einsatz eines Methodenmixes von Mikro- und Wissenschaftsgeschichte – untersucht, wie im Peckham-Experiment biologisch-medizinische Theorien auf die Lebenswelt der Londoner Bevölkerung trafen. In einer Monografie (2014) und mehreren Artikeln konnte eine kontingente, nicht selten konflikthafte, von komplexen Sinnstiftungen geprägte Laborsituation rekonstruiert werden. Sie generierte ein Wissen über die Selbstorganisationskraft menschlicher Gruppen, das zeitgenössisch global diskutiert wurde, und das bis heute durch die britische sozial- und gesundheitspolitische Debatte geistert. Das Projekt ist somit als eine Fallstudie zur Geschichte der Theorie und Praxis vergleichsweise "milder“ Formen des "Social Engineering" und der Verwissenschaftlichung des Sozialen im 20. Jahrhundert zu verstehen. Gerade der Blick auf die agency der "Versuchsteilnehmer“ im Peckham-Experiment hat es ermöglich, einen Grenzbereich zwischen Alltagsgeschichte und historischer Epistemologie auszuloten. Es besteht die Hoffnung, dass die kontrastierende mikrogeschichtliche Rekonstruktion der Entstehung wissenschaftlichen Wissens im Center einerseits, die Darstellung seiner stetigen Umdeutungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts andererseits, zur historischen Fokussierung nicht zuletzt soziologischer Forschungen über die Herausbildung der "Gouvernementalität der Gegenwart" beizutragen vermag.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Selbstverantwortung als Experiment. Das Londoner "Pioneer Health Centre" (1926-1950), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 10 (2013), S. 366-389 (Themenheft "Zeitgeschichte der Vorsorge/Contemporary History of Prevention and Provision")
    David Kuchenbuch
  • Das Peckham-Experiment. Eine Mikro- und Wissensgeschichte des Londoner "Pioneer Health Centre" im 20. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 2014
    David Kuchenbuch
  • A Laboratory of Anarchy? The London Pioneer Health Centreand the Experimentalisation of the Social, 1935–1950 in: Journal of Modern European History, Seite 480 - 498, JMEH, Jahrgang 13 (2015), Heft 4 (Themenheft "Experimental Spaces - Planning in High Modernity")
    David Kuchenbuch
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.17104/1611-8944-2015-4-480)
 
 

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