Die publizistischen Kontroversen um Thilo Sarrazin, Oriana Fallaci und James Watson in Europa, Nord- und Südamerika
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Darf man öffentlich sagen, dass Schwarze dumm oder, dass Muslime gewaltbereit (vor allem, aber nicht nur) gegenüber Frauen sind? Stellen diese Ansichten Tabus dar oder sind es nur einige Meinungen unter vielen? Anhand der öffentlich ausgetragenen Kontroversen über die Aussagen von James Watson, Oriana Fallaci und Thilo Sarrazin wurde untersucht, wo die Grenzen der öffentlichen Auseinandersetzung liegen, wenn gruppenbezogene, biologische Unterschiede gegenüber schwarzen Menschen und kulturelle Unterschiede gegenüber muslimischen Migranten thematisiert werden. Die bisherigen Ergebnisse dieses Projektes zeigen, dass es keine festen Grenzen gibt in Bezug auf das, was man über Muslime bzw. muslimische Migranten medienöffentlich sagen „darf". Trotz massiver Kritik an neorassistischen Ansichten gegen Muslime im Allgemeinen bzw. muslimische Migranten im speziellen findet sowohl bei Sarrazin als auch bei Fallaci keine Tabuisierung statt. Im Gegenteil: Die Kritik an deren Aussagen beförderte die Medienresonanz und verhinderte wiederholt, dass die Kontroversen „einschliefen". Weder das Argument der Meinungsfreiheit des/r Polemikers/in noch die Behauptung, dass die Aussagen rassistisch seien, spielten in der Diskussion über die Legitimität dieser Kontroversen eine wesentliche Rolle. Für das Tabuisierungspotential sorgten die Formulierungen und die Folgen der Polemik. Für die Behandlung der Auseinandersetzung als legitime Kontroverse sorgte die Zustimmung aufgrund des Inhalts der Aussagen bzw. die Zuschreibung eines Wahrheitsgehaltes zu diesen. In Bezug auf biologische Unterschiede, deren öffentliche Behandlung durch den Fall Watson untersucht wurde, zeigen die vorliegenden Ergebnisse, dass die Grenzen dessen, was gegen schwarze Menschen gesagt werden, kann weitaus klarer und fester sind als dies im Fall kultureller Unterschiede der Fall ist. Folgerichtig kippte im Fall Watsons die Diskussion im Verlauf der Kontroverse und Inhalt und Polemiker wurden tabuisiert. Die Untersuchungen dieser Fälle weisen darauf hin, dass Polemiker/innen, die Medienaufmerksamkeit mit hate speech generieren, ihren Diskurs nicht nur auf einer Antinomie aufbauen, sondern der Öffentlichkeit eine Palette von Polarisierungen anbieten, die sich um eine Hauptantinomie gruppieren. Ihre Aussagen spiegeln weder die öffentliche Meinung noch die mediale Nachfrage wieder, sondern stellen den Versuch dar, mit einer Reihe von Polarisierungen beide zu beeinflussen und zu erreichen. Die Presse gestaltet solche Diskurse aktiv mit, da sie nicht unbedingt die Hauptpolarisierung der Polemiker/innen übernehmen. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Personalisierung einer Kontroverse nicht unbedingt dazu führt, dass der Inhalt der Aussagen nicht diskutiert wird, da hier sowohl die Person als auch der Inhalt ausführlich erörtert wurden. Die breite Medienresonanz solcher Kontroversen ist dabei nicht der Zustimmung zu den Aussagen der Polemiker zu verdanken. Erst das Zusammenspiel von Befürwortung und Ablehnung sorgt hier für die Medienaufmerksamkeit. Schließlich erwiesen sich die hier untersuchten Kontroverse um hate speech im Gegensatz zu dem bisherigen Erkenntnisstand nicht nur als emotional beladene Auseinandersetzungen, sondern auch als hochrationalisierte Debatten, in denen Aussagen ausführlich begründet werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2012): Der misslungene Integrationsbegriff. Die Repräsentationen von Migrantinnen in den deutschen Massenmedien. In: Brinkmann, K.; Uslucan, H.H. (Hrsg.). Wer gehört dazu? Wiesbaden: Springer VS
Sponholz, Liriam
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(2012): Por que declarações racistas rendem noticias (Warum rassistische Aussagen Nachrichten bringen) (Paper) X. Congresso de Ciencias da Comuniçao dos paises de lingua Portuguesa (Lusocom) vom 27.-29. September 2012 in Lissabon
Sponholz, Liriam