Das religions-ethnologische Konzept des 'Schamanen' in der prähistorischen Archäologie am Beispiel von ausgewählten Sonderbestattungen des Endneolithikums und der Frühbronzezeit in Mitteleuropa
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In dem Forschungsprojekt nahm die Fragestellung nach der Analyse des in der Archäologie unter anderem auch zur Interpretation von Sonderbestattungen herangezogenen ethnologischen Konzeptes des ‚Schamanen‘ einen breiten Raum ein. Anders als gemeinhin angenommen handelt es sich bei diesem Terminus um einen forschungsgeschichtlich relativ jungen Begriff, der erst im Verlauf des 17. Jh. aus der Sprache der tungusisch sprechenden Evenken in die russische und später auch in andere Sprachen europäischer Kolonisten und Missionare übernommen wurde. Im Verlauf der wissenschaftlichen Erforschung Sibiriens wurde der Begriff vielfach in seiner Definition modifiziert, wobei zeitspezifische Intentionen sich in einer häufigen Instrumentalisierung des übergreifenden Terminus Technicus äußerten. Dass der Begriff jedoch heute in der Archäologie als möglicher Erklärungsansatz für religiöse Spezialisten verschiedener vorgeschichtlicher Zeitstufen Anwendung findet hat seine Begründung in den Arbeiten des rumänischen Orientalisten Mircea Eliades. Nach einer Phase der Diskreditierung als „Geisteskranker“ von Seiten der frühen freudianisch geprägten Ethnologie zu Beginn des 20. Jh. versuchte sich Eliade in der Konstruktion eines universellen Ansatzes, in dem er jedoch aufgrund einer unwissenschaftlichen Herangehensweise vielfach unterschiedliche Formen von Religion und ‚Schamanismus‘ miteinander vermischte. Ziel des Projektes war es, die in der Archäologie und Ethnologie verwendeten Definitionen des ‚Schamanen‘ und den jeweils verwendeten Konsens aufzuzeigen und deren Anwendbarkeit auf vorgeschichtliche Bestattungen zu überprüfen. Wie bereits im ersten Projektabschnitt vorgestellt werden konnte, kristallisierte sich hierbei eine deutliche Differenz zwischen ethnologischer und archäologischer Forschung heraus. Dieser Unterschied beruht vor allem auf der unterschiedlichen Quellenlage und der oft mangelnden interdisziplinären Arbeitsweise der mit dem Begriff arbeitenden Archäologen: So bezieht sich das ethnologische ‚Schamanenkonzept‘ primär auf die abstrakten Konzepte der kosmologischen und sozialen Verortung des lebenden ‚Schamanen‘, während den materiellen Manifestationen dieser Verortung eher sekundäre Rolle zukommt. In der Archäologie hingegen verhält es sich umgekehrt, so dass den materiellen Komponenten der ‚Schamanen‘ die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wird, weniger jedoch der damit verbundenen Bedeutung. Da die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen zeigen konnten, dass entgegen des bisherigen archäologischen Postulats die materielle Kultur des ‚Schamanismus‘ sich nicht in den Grabbeigaben materialisiert, da diese gemeinhin nicht in den Grabkontext gelangen, mussten alternative Kriterien zur Identifikation von ‚Schamanenbestattungen‘ aufgeführt werden. Diese Kriterien, vor allem die Beobachtung, dass die entsprechenden Bestattungen meist in isolierter Lage oder im Rahmen von Spezialistenfriedhöfen als ‚Sonderbestattung‘ durchgeführt wurden, konnten jedoch auch unter Bezug auf ausgewählte ‚Sonderbestattungen‘ des Endneolithikums und der Frühbronzezeit nicht als eindeutige Identifikationsinstanzen für ‚Schamanen‘ genutzt werden. Zugleich zeigt jedoch die sibirische Bestattung von Kyss, 19 dass das überarbeitete und mit anderen Prioritäten versehene Konzept bei außergewöhnlichen Erhaltungsbedingungen durchaus zur Identifikation von ‚Schamanen‘ verwendet werden kann. Es zeigt sich somit, dass für das 3. und 2. Jhrt. v. Chr. der Terminus ‚Schamane‘ trotz einer überarbeiteten Definition nicht einwandfrei und unkritisch angewendet werden kann. Zum einen, weil die relevanten Kriterien, wie etwa die isolierte Lage, aufgrund der Überlieferungsbedingungen oder der Mehrdeutigkeit der Kriterien nicht allein als Beleg dienen können. Doch auch die Betrachtung von Grablegen, bei denen mehrere der untersuchten Kriterien zugleich auftraten, beispielsweise die erwähnte Bestattung aus Grab 5 von Lauingen, konnte im Kontext einer polythetischen Herangehensweise nur Möglichkeiten aufzeigen. Tatsächlich von ‚Schamanen‘ für den untersuchten Zeitraum aber auch allgemein in der Vorgeschichtsforschung zu sprechen, erscheint somit vor dem Hintergrund der Untersuchungsergebnisse als zwar inspirierende, jedoch mit einer hohen Fehlerquelle behaftete Interpretationsmöglichkeit. Es sollte somit, gerade mit Verweis auf die mahnenden Worte Arnold van Genneps, von der Verwendung des „most dangerous of these vague words“ der ethnologischen Forschung abgesehen werden, oder die Verwendung nur auf eine vorsichtige, quellenkritische Nutzung beschränkt werden.